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© Getty ImagesSumatra-Tiger vermehren sich im Zoo von Sydney – für den Erhalt der Art sind Zoogeburten allerdings nur bedingt nützlich
Von vielen Tierarten existieren nur noch wenige Exemplare. Tierschützer versuchen deshalb, die Populationen mit Zuchtprogrammen zu vergrößern. Die Qualität des Erbguts spielt aber oft nicht mit.

Benjamin war der Letzte seiner Art. Der Tasmanische Beutelwolf starb in der Nacht vom 6. auf den 7. September 1936 in einem Zoo in Hobart in Tasmanien im alter von zwölf Jahren. Mit dem Tod des Tieres starb die Art aus. Dabei war das Leben auf Tasmanien eigentlich perfekt für die Beutelwölfe. Bis vor 250 Jahren waren sie die größten Räuber der Insel. Dann entdeckten und besiedelten die Europäer die Insel, es wurde unangenehm für den sogenannten Tasmanischen Tiger: Die neuen Siedler schossen die vermeintlichen Schafsjäger ab.

Aber nicht nur die Flintenschüsse waren schuld am Aussterben der Beuteltiere, sondern auch ein verarmter Genpool. Das konnten Forscher um Brandon Menzies von der University of Melbourne mit molekulargenetischen Methoden nachweisen. Im Journal Plos one schreiben sie, dass mehr als ein Dutzend Tiere, die vor über einem Jahrhundert gejagt und in Museen gebracht worden waren, einander in 99,5 Prozent ihrer Gene gleichen. Die Wissenschaftler gehen deshalb davon aus, dass der Beutelwolf genetisch stark verarmte, nachdem er vor 10.000 Jahren auf der vom australischen Festland abgeschnittenen Insel Tasmanien isoliert wurde. Die Tiere wurden einander auf Erbgutebene immer ähnlicher - schon bevor der Mensch begann, sie auszurotten.

Die Verarmung der genetischen Vielfalt vollzieht sich im Verborgenen - und bei vielen Tierarten. In den Pinienwäldern von Teneriffa und Gran Canaria beispielsweise lebt der Blaufink. Seit Jahren schrumpft die Anzahl dieser Vögel auf der stärker erschlossenen Hauptinsel Gran Canaria dramatisch; derzeit leben dort nur noch 200 Tiere. Zu wenig zum Überleben, wie unlängst ein spanisch-norwegisches Team von Vogelforschern herausfand.

Die Forscher hatten die genetische Konstitution der Finken untersucht und mit der der Blaufinken von Teneriffa verglichen. Es zeigte sich, dass die Spermienqualität bei den Finken von Gran Canaria zu wünschen übrig lässt. Die Ornithologen vermuten im Journal of Ornithology, dass das eine Folge der genetischen Verarmung in der kleinen Inselpopulation ist. Es sei abzusehen, dass es wohl bald keine Blaufinken mehr auf Gran Canaria geben wird.

Inzucht zwischen engen Verwandten könnte vielen Arten zum Verhängnis werden. Die fehlende genetische Durchmischung in kleinen Relikt-Beständen setzt ihre Widerstandskraft herab und macht sie anfällig für Krankheiten. Heute registrieren Fachleute, dass es überall auf der Erde bei vielen Tierarten zu genetischen Engpässen kommt. Weil der Mensch ihnen kaum noch Lebensraum lässt und die Populationen klein und fragmentiert werden, paaren sich immer häufiger nur noch eng miteinander verwandte Tiere. Eine genetische Auffrischung findet kaum noch statt.

Krankheiten haben ein leichtes Spiel

Wie anfällig genetische Armut und fortgesetzte Inzucht etwa für Krankheiten machen, zeigen auch Wölfe auf einer im Oberen See zwischen Kanada und den USA gelegenen Insel. Sämtliche Wölfe der Isle Royal stammen von einem einzigen trächtigen Weibchen ab, das im frostigen Winter 1948/49 über eine damals geschlossene Eisdecke auf die Insel gelangte. Innerhalb von zwei Jahren starben zwei Drittel dieser Inselwölfe an einem 1980 eingeschleppten Parvovirus. Auch ein 1997 über die erneut geschlossene Eisdecke auf die Insel gelangter Wolfsrüde konnte nicht für die notwendige genetische Auffrischung sorgen. Im vergangenen Jahr lebten auf Isle Royal nur noch acht Wölfe, ohne dass Nachwuchs geboren wurde, berichteten Wissenschaftler unlängst in Science.

Wie groß die jeweiligen Bestände und die Lebensräume sein müssen, damit bedrohte Arten überleben können, wird unter Naturforschern heftig diskutiert. So spielt bei der Inzucht bedrohter Arten weniger das Verhalten eine Rolle wie etwa Paarungsgewohnheiten oder monogame versus polygame Fortpflanzung als vielmehr die Ökologie. Große, räuberische Tiere, die an der Spitze der Nahrungspyramide stehen, haben meist deutlich weniger und seltener Nachkommen als Pflanzenfresser. Daher sind die Bestände von räuberisch lebenden Arten stets kleiner und ihre Territorien größer - und Tasmanischer Beutelwolf ebenso wie Tiger oder Wolf sind auch eher von Inzucht und Aussterben bedroht. Doch wie die Blaufinken der Kanaren zeigen, können auch Tiere auf den unteren Stufen der Nahrungspyramide unter genetischer Verarmung leiden.

Aber Schutzgebiete und Zuchtprogramme sind nicht immer das geeignete Mittel, um Arten vor dem Aussterben zu bewahren. Manchmal erhöht sich dadurch sogar die Gefahr eines genetischen Flaschenhalses: So kämpfen Artenschützer auf Neuseeland gegen das Aussterben des Braunen Kiwis. Forscher um Kristina Ramstad von der Victoria University of Wellington berichtete kürzlich in den Proceedings of the Royal Society, welches Problem sich hier ergeben hat. Um den Braunen Kiwi zu retten, waren vor gut hundert Jahren die letzten fünf überlebenden Vögel auf die kleine Insel Kapiti gebracht worden. Heute leben dort 1200 Nachkommen.

Genetischer Flaschenhals

Mehrfach wurden kleinere Gruppen von diesen Nachkommen auf andere Inseln gebracht. Ein großer Erfolg für die Artenschutz? Nicht unbedingt. Denn die Bestände auf vier dieser Inseln zeigen eine erheblich reduzierte genetische Vielfalt. Dies sei ein deutliches Signal dafür, so die Wissenschaftler, dass sich die ausgewilderten Kiwis durch einen genetischen Flaschenhals zwängen. Zwischen den einzelnen Inseln kommt es nicht zu Austausch und genetischer Auffrischung. Die Bestandszahlen der Braunen Kiwis steigen langsam an. Ihre genetische Vielfalt aber nimmt an. So wird die Art verwundbarer.

Vielen bedrohten Tierarten fehlt mittlerweile eine genetische Verjüngungskur. Die letzten überlebenden Tiger, von denen es in Indien nach jüngsten Zählungen nur noch 1700 Tiere gibt, haben bereits einen Teil ihrer einstigen genetischen Komposition eingebüßt. Zeigen konnten Forscher dies, ähnlich wie beim Tasmanischen Beutelwolf, durch die Anwendung modernster molekulargenetischer Methoden bei nur noch im Museum erhaltenen Überresten von Tigern aus längst verschwundenen Lebensräumen.

Im Journal "Proceedings of the Royal Society" wiesen Forscher um Uma Ramakrishnan vom National Centre for Biological Sciences im indischen Bangalore durch den molekulargenetischen Vergleich von 53 historischen Museumsstücken mit Stichproben lebender Tiere nach, dass die genetische Vielfalt der Tiger erheblich zurückgegangen ist.

Grüne Korridore als letzte Chance?

Tiger verarmten in genetischer Hinsicht, als ihre Bestände in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr einbrachen und dabei einmalige Genkombinationen verloren gingen, so die Erkenntnis der Forscher. Zudem ist der verbliebene Genpool stark zergliedert; jede isolierte Population weist ein anderes, ihr eigenes genetisches Signal auf. Die Fragmentierung der letzten Lebensräume des Bengaltigers hat zu einer Art Verinselung seiner genetischen Vielfalt geführt, wobei Inzuchtlinien entstanden sind. In ihrem Bericht warnen die Wissenschaftler davor, ähnlich wie beim Brauen Kiwi lediglich mit Blick auf die Anzahl der Individuen zu versuchen, die Tigerbestände wieder aufzubauen.

Bisher konzentrierten sich die Schutzanstrengungen darauf, die letzten Bestände der größten Raubkatze der Erde jeweils in den einzelnen asiatischen Reservaten zu erhalten und zu vermehren. Doch durch eine solche letztlich auf Inzest beruhende Erhöhung der Tigerzahlen verstärkt sich die genetische Verarmung. Derzeit leben die Raubkatzen noch in rund 40 Gebieten, verstreut von Sibirien bis Sumatra. Artenschützer fordern jetzt, dass diese letzten Tiger-Hochburgen durch grüne Korridore miteinander vernetzt werden. Nur wenn es zur genetischen Auffrischung komme, ließen sich der Tiger und andere vom Aussterben bedrohte Arten bewahren.