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© Frank HerrmannVicki Paulas, Biologin beim Chesapeake Bay Environmental Center, an einem Uferstreifen, der in langjähriger Kleinarbeit befestigt wurde. Im Hintergrund ein Privathaus, das neuerdings auf Stelzen steht - eine Abwehrmaßnahme gegen den Klimawandel.
Grasonville (RP). Judy Wick kann sich das Lachen nicht verkneifen, wenn sie vom überhasteten Aufbruch der Hochzeitsgesellschaft erzählt. Es war abends nach acht, die Partymusik dröhnte, da kam einer der Anwohner auf Horsehead, einer Halbinsel im US-Staat Maryland, angerannt, um Alarm zu schlagen. "Es dauerte keine zehn Minuten, und alle waren weg." Bald stand die einzige Straße, die das drei Meter erhöht stehende Chesapeake Bay Environmental Center (CBEC) mit dem Städtchen Grasonville verbindet, kniehoch unter Wasser.

Seit September, erzählt Judys Kollegin Vicki Paulas, gab es keinen einzigen Tag, an dem die Straße nicht überschwemmt wurde, sobald die Flut einsetzte. Der Blick weiter nach vorn treibt der Biologin tiefe Sorgenfalten in die Stirn. "Um 30 Zentimeter soll das Wasser in diesem Jahrhundert steigen. Dann ist Horsehead Geschichte. Alles was bleibt, ist ein Inselchen."

Aus der Vogelperspektive sieht sie aus wie ein Pferdekopf, die Halbinsel, die sich von den Krabbenrestaurants und Yachthäfen Grasonvilles zwei Kilometer weit in die Bucht reckt, in die Chesapeake Bay. Das ist eine der bedeutendsten Naturlandschaften Nordamerikas, von Nord bis Süd 311 Kilometer lang, ein Biotop mit großer Artenvielfalt. An ihren Ufern leben Blaureiher, Fischadler und Wildgänse. Es gibt Austern, Muscheln und die berühmten blauen Krabben.

Betuchte Großstädter aus Washington, Baltimore oder Philadelphia siedeln sich gern in der Idylle an, um der Hektik zu entfliehen. Allein in Grasonville haben Immobilienentwickler zwei Wohnparks ans Ufer geklotzt. Für die kommenden zehn Jahre prophezeit Judy Wick den nächsten Bauboom.

"Es braucht wenig Fantasie, um sich ein regionales Desaster vorstellen zu können", meint Michael Kearney, ein Klimaexperte der University of Maryland. Es reiche schon, wenn ein Hurrikan durch die Bucht zieht, der nächste nach "Isabel" im Jahr 2003. Viele der neuen Anlagen stehen dicht am Ufer, das macht sie ja so attraktiv, und zugleich ist es paradox, denn infolge schmelzender Arktisgletscher steigt der Meeresspiegel der Chesapeake schneller denn je. Sechs Mal schneller als im Durchschnitt der letzten 1000 Jahre, schätzt Kearney. "Hält der Trend an, könnten wir 70 Prozent aller Marschlandschaften verlieren." Von den 148 Inseln der Bucht sind bereits 80 verschwunden.

Die Politik reagiert nur langsam. Präsident Barack Obama hat die Küste zum Naturerbe deklariert und seine Umweltbehörde angewiesen, energischer zu handeln. Vor einigen Uferabschnitten ließ die Regierung Dämme aus Schotter anhäufen. Damit lässt sich das Wasser für ein paar Jahre aufhalten. Wollte man das ganze Land an der Bucht auf diese Weise schützen, würde das mehr als 20 Milliarden Dollar kosten. Im CBEC haben sie es mit einem Lehrprojekt versucht, Schilf gepflanzt, Sand aufgeschüttet, zur Festigung Kokosfasern verlegt, um 150 Meter Küste zu retten. Es dauerte sechs Jahre - und kostete eine Viertelmillion Dollar. Gleich neben dem Lehrstrand hat Judy Wick ihr Privathaus auf Stelzen gestellt, zwei Meter höher als früher. Sie wollte nicht warten, bis sich in Washington etwas tut.