"Sage mir, Muse, die Taten des viel gewanderten Mannes." So beginnt das wohl bedeutendste Heldenepos der abendländischen Kulturgeschichte, die "Odyssee" des griechischen Dichters Homer. Wer weiter liest, erfährt viel über die Irrfahrten des Odysseus und die Ursprünge westlicher Literatur. Wer die Verse zudem laut vorträgt, und es müssen dabei nicht unbedingt alle 12.000 sein, kann aber auch etwas für seine Gesundheit tun. Wie Forscher nun herausgefunden haben, wirkt sich der besondere Rhythmus der antiken Strophen positiv auf das Zusammenspiel von Herzschlag und Atmung aus.

Die Ergebnisse der Wissenschaftler, darunter Dirk Cysarz von der deutschen Universität Witten/Herdecke, sind in der August-Ausgabe der Fachzeitschrift American Journal of Physiology erschienen.

Hexameter: Versmaß der Homer-Epen

Von dem antiken Dichter Homer, der im 8. Jahrhundert vor Christus gelebt hat, stammt neben der "Odyssee" auch die "Ilias", in der der Kampf um Troja geschildert wird. Die Ilias diente dem Hollywoodfilm "Troja" als Vorlage.

Während sich das Leinwandspektakel einer farbenfrohen Bildsprache bedient, transportieren die beiden Epen ihren Inhalt in einem festen Versmaß. Beim so genannten Hexameter werden sechs Silben pro Verszeile betont.

Wohltuende Wirkung durch Rezitation

In der strengsten Form folgen der betonten Silbe stets zwei unbetonte. Von der wohltuenden Wirkung der Rezitation von Hexameter-Versen sind Kunsttherapeuten seit langem schon überzeugt.

Langsame Atemschwingungen

Für ihre wissenschaftlichen Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Hexameter, Herzschlag und Atmung verwendeten die Forscher nun eine deutsche Übersetzung, die den Rhythmus der Jahrtausende alten Verse beibehält.

"Mit Hexameter-Versen können langsame Atemschwingungen erzeugt werden", erklärte der Physiker Dirk Cysarz in einer Aussendung der Universität. An den Untersuchungen nahmen 20 gesunde Männer und Frauen teil.

Drei verschiedene Durchgänge

Sie liefen dreimal für jeweils 20 Minuten durch einen Raum. Recht langsam: ungefähr mit 50 Schritten pro Minute. Bei einem der 20-Minuten-Durchgänge sollten sie spontan, also möglichst wie im Alltag atmen.

Bei einem weiteren Durchlauf wurden sie gebeten, nach einem vorgegebenen Schema kontrolliert ein- und auszuatmen.

Die dritte Runde war dadurch gekennzeichnet, dass die Probanden während des Gehens Hexameterverse aus der Odyssee nachsprachen, die der Versuchsleiter vorsprach.

Deutliche Synchronisation durch Rezitation

Während der Experimente wurden Herzschlag und Atmung der Teilnehmer gemessen. Die Auswertung der Daten ergab: Während der Rezitation der antiken Verse war eine deutliche Synchronisation von Herzschlag und Atemfrequenz zu beobachten.

Die durch den Hexameter-Rhythmus bedingten langsamen Atemschwingungen erzeugten demnach eine harmonische und regelmäßige Herzschlagfolge.

"Offensichtlich hilft der Hexameter dem Körper, seinen eigenen, guten Rhythmus zu finden", resümiert Dirk Cysarz. Andere Studien, so Cysarz, wiesen darauf hin, dass langsame Atmung die Lungen effizienter arbeiten lasse und auch der Blutdruck gesenkt würde.

Positive Effekte durch Rosenkranz und "Om"

Ebenfalls positive Effekte auf den Körper werden dem Rosenkranz und dem Mantra "Om" zugesprochen. Sollten Ärzte ihren Herzpatienten jetzt also Gedichtbände statt Tablettenpackungen verschreiben?

"Nein", sagt der Wittener Forscher. Diese Art von Kunsttherapie könne nur eine flankierende Behandlungsmaßnahme sein. Schaden kann die Hexameter-Therapie allerdings kaum. Einzige bekannte "Nebenwirkung" wäre Bildung.

www.rhythmen.de (Universität Witten/Herdecke)
"AJP Heart and Circulatory Physiology"
Illias und Odysse in deutscher Übersetzung (Projekt Gutenberg)