Illustration Gravitationswellen
© NasaEine Illustration macht Gravitationswellen sichtbar, sie zeugen vom Ursprung des Universums
Astrophysiker wollen Gravitationswellen aus der ersten Sekunde nach dem Urknall nachgewiesen haben. Erfährt die Menschheit damit endlich, wie alles begann?

Schon seit Tagen sorgte das Gerücht für Aufregung: Astrophysiker hätten erstmals Hinweise auf urzeitliche Gravitationswellen gefunden, gewissermaßen Signale von der Geburt des Universums selbst. Eine "bahnbrechende Entdeckung" hatte das Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics angekündigt und dementsprechend groß war die Aufregung. Die Erwartungen wurden nicht enttäuscht.

Tatsächlich lieferte das BICEP2-Teleskop am Südpol indirekte Belege für jene geheimnisvollen Gravitationswellen, die schon Albert Einstein vorhergesagt hatte. Solche Wellen sind Änderungen in der Struktur der Raumzeit, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten; sie entstehen immer dann, wenn Materie und Energie in Bewegung sind, also vorzugsweise im Kosmos. Und sie müssten der Theorie zufolge auch Zeugen aus der allerfrühesten Frühzeit unseres Universums sein. Denn viele Kosmologen glauben, dass die erste Sekunde nach dem Zeitpunkt Null durch eine unvorstellbar schnelle Aufblähung (englisch: inflation) des Weltalls charakterisiert war. Diese Inflation sollte, wenn es sie denn gab, auch bestimmte Gravitationswellen anstoßen - eben jene Art, die jetzt im BICEP2-Experiment nachgewiesen wurde. Kein Wunder, dass die Community der Physiker aus dem Häuschen ist.

Universum Inflation
© NASA, Zeit OnlineDie Inflation des Universums
Man habe drei Jahre lang über alle möglichen Fehlerquellen nachgedacht, sagt der Leiter des Experiments John Kovac Nature News. "Das war bei Weitem die gründlichste systematische Analyse, an der ich je beteiligt gewesen bin." Staub im Weltall oder Temperaturschwankungen in der Atmosphäre können die Messung stören. Doch für Kovac steht fest: Diese Signale stammen tatsächlich aus der Frühzeit des Universums.

"Wenn das von anderen Gruppen bestätigt wird, ist ein Nobelpreis fällig", sagt der Gravitationsphysiker Bernard Schutz vom Albert-Einstein-Institut in Potsdam, "das ist der Anfang einer neuen Ära: Wir beginnen, den Urknall zu verstehen".

Der britische Astronom Martin Rees hält die Messungen für einen "wichtigen Schritt, um über konkurrierende Theorien zum ultrafrühen Universum zu urteilen". Und der Kosmologe Max Tegmark vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) spricht sogar von einer der größten Entdeckungen in der Geschichte der Wissenschaft. "Für mich ist das der endgültige Beleg, dass die Inflation tatsächlich stattgefunden hat."

Der Schlüssel zur "Theorie für Alles"?

Tegmarks Kollege Alan Guth hat die Inflationstheorie Ende der 1970er Jahre erfunden, um einige Probleme des herkömmlichen Urknallmodells zu lösen. Guths Schöpfungsgeschichte ist noch erstaunlicher als die Explosion von Hoeneß’ Steuerschulden innerhalb von drei Tagen: In einem Zeitkörnchen, kürzer als ein Wimpernschlag, blähte sich das Universum demnach konservativ geschätzt um das 10 hoch 30-fache auf. Hätten damals schon Erbgut-Moleküle existiert, wären sie dabei auf die Größe der Milchstraße angewachsen. Anschließend expandierte das Universum gemächlicher, und das tut es bis heute. Darüber herrscht unter Kosmologen weitgehend Einigkeit.

Bislang reichte das empirische Wissen der Physiker allerdings nicht ganz bis zum Zeitpunkt Null, sondern nur zurück bis etwa zur ersten Sekunde nach dem Urknall. Die erste Sekunde selbst jedoch blieb rätselhaft. Dabei liegt gerade in dieser Geburtsphase des Alls der Schlüssel zur lange gesuchten "Theorie für Alles". Sie soll eines Tages die Theorie vom Großen (Relativitätstheorie) mit der Theorie vom Kleinen (Quantenphysik) verschmelzen. Das Projekt Weltformel.

In der ersten Sekunde war das Universum so dicht und heiß, dass die vier heute bekannten Kräfte des Alls wohl in einer einzigen Urkraft verschmolzen waren. Mit den neuen Hinweisen auf urzeitliche Gravitationswellen erhält die Suche nach der Weltformel neuen Auftrieb.

Ergebnisse müssen noch unabhängig bestätigt werden

Dabei schien es lange Zeit unmöglich, die urzeitlichen Gravitationswellen zu messen. Sie lassen sich nicht direkt empfangen, denn ihre Schwingungsperiode kann Millionen oder Milliarden von Jahren betragen. Deutlich zu lang für eine Doktorarbeit. Die Astrophysiker vom Harvard-Smithsonian Center bedienten sich daher eines Tricks. Laut Inflationstheorie müssten die Gravitationswellen nämlich Spuren in der kosmischen Mikrowellenstrahlung hinterlassen haben, die das gesamte Weltall erfüllt. Diese Strahlung wird gerne als Nachglühen des Urknalls bezeichnet, ist aber in den rund 14 Milliarden Jahren seit dem Urknall auf wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt (Fixsen, 2009).

Die Astrophysiker installierten am Südpol mit BICEP2 ein hoch spezialisiertes Wärmeteleskop, das die Mikrowellenstrahlung ins Visier nimmt. Nirgendwo auf der Erde geht das so gut wie in der Kälte und Abgeschiedenheit des Südpols. Die Herausforderung ist immer noch vergleichbar mit der Aufgabe, während eines Rock-Konzerts das Flüstern eines Fans zu verstehen. Aber der Versuch könnte geglückt sein. Die Forscher fanden winzige Unterschiede in der Polarisation der Mikrowellenstrahlung, erklärbar durch eben jene Gravitationswellen im frühen Universum.