Aufstände in Abidjan
© Keystone/Schalk van ZuydamDie Anhänger von Wahlsieger Ouattara gingen wütend auf die Straßen Abidjans.
Im Schatten von Japan und Libyen bahnt sich an der Elfenbeinküste eine humanitäre Katastrophe an. Der anhaltende Machtkampf treibt Tausende in die Flucht.

Die Zeiten sind lange vorbei, in denen die Elfenbeinküste ein afrikanisches Musterland war. Seit Jahren wird der weltgrösste Kakaoproduzent von ethnischen und religiösen Konflikten erschüttert. Nach den Präsidentschaftswahlen im letzten November hat sich die Lage verschärft. Herausforderer Alassane Ouattara aus dem muslimischen Norden wird von UNO, Europäischer und Afrikanischer Union und USA als Sieger anerkannt, doch Amtsinhaber Laurent Gbagbo, der den christlichen Süden vertritt, will die Niederlage nicht akzeptieren.

In den letzten Tagen, in denen die Aufmerksamkeit der Welt durch die Atomkatastrophe in Japan und die Intervention in Libyen absorbiert war, ist das westafrikanische Land weiter in Richtung Bürgerkrieg gedriftet. Mit Ouattara verbündete Milizen haben nach eigenen Angaben mehrere Städte im Westen erobert. Ein Sprecher von Gbagbo sprach am Dienstag von einem «taktischen Rückzug», gleichzeitig verlangte er einen sofortigen Waffenstillstand, andernfalls werde man das «legitime Recht auf Verteidigung» wahrnehmen.

Personal von sechs Spitälern geflohen

Die eskalierende Gewalt treibt zahllose Menschen in die Flucht. Nach Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) könnten allein in der Wirtschaftsmetropole Abidjan bis zu eine Million Menschen vertrieben worden sein. Tausende suchen Zuflucht in Nachbarländern wie Ghana. Letzte Woche erliess die UNO einen Hilfsappell, der jedoch im Schatten von Japan und Libyen kaum gehört wurde. In den letzten Tagen immerhin gab es einige Zusagen. So hat die EU die humanitäre Hilfe von fünf auf 30 Millionen Euro aufgestockt.

Schwierig ist auch die Gesundheitsversorgung, besonders in Abidjan, wo es regelmässig zu Kämpfen zwischen den rivalisierenden Gruppen kommt. So soll fast das gesamte Personal von sechs Krankenhäusern geflohen sein, heisst es in einer Mitteilung von Médecins sans Frontières (MSF). Das Hilfswerk betreibt eines der letzten funktionierenden Spitäler im Vorort Abobo und ist dort praktisch rund um die Uhr im Einsatz, wie der Arzt Okanta Chibuzo berichtet (siehe Video): «Wir haben jeden Tag zehn bis 15 Verwundete behandelt.»

Besonders schlimm war es am 17. März, als eine Mörsergranate den Marktplatz traf. Abgefeuert wurde sie vermutlich von Anhängern Gbagbos, denn Abobo gilt als Hochburg seines Rivalen Ouattara. «Wir hatten mehr als 60 Patienten, vor allem Frauen und Kinder», sagte Dr. Chibuzo. Die Sicherheitslage ist laut MSF «prekär». Bei den Kämpfen in der Elfenbeinküste sind nach UNO-Angaben bisher mehr als 450 Menschen getötet worden.

Frankreich für neue Sanktionen

Ein Ausweg aus der Gewaltspirale ist bislang nicht in Sicht. Der Westen ist in Libyen beschäftigt. Die afrikanischen Staaten haben zwar mit einer militärischen Intervention gedroht, es bislang jedoch bei fruchtlosen Vermittlungsversuchen bewenden lassen. Am Wochenende ernannte die Afrikanische Union mit Jose Brito einen neuen Gesandten. Doch Alassane Ouattara lehnt den früheren Aussenminister von Kap Verde ab, weil er persönliche wie auch geschäftliche Verbindungen zu Laurent Gbagbo pflege.

Am letzten Freitag hat Frankreich zudem im UNO-Sicherheit einen Resolutionsentwurf eingebracht, der unter anderem schärfere Sanktionen gegen Gbagbo und seine Vertrauten vorsieht. Der Kakaoexport aus der Elfenbeinküste wurde von EU und USA bereits verboten. Der normalerweise pulsierende Hafen von Abidjan soll praktisch zum Stillstand gekommen sein. Laut Spiegel Online gibt es Anzeichen, dass Gbagbo das Geld ausgehen könnte. Nur mit Mühe habe er im Februar seine Sicherheitskräfte bezahlen können.

Warnung vor ethnischen Säuberungen

Der französische Vorstoss sieht zudem vor, den Einsatz schwerer Waffen in Abidjan gegen Zivilisten zu verbieten. Dazu soll das Mandat der bereits im Land stationierten UNO-Friedenstruppe gestärkt werden. Die in Brüssel ansässige International Crisis Group verlangt zudem eine Verstärkung der 9000 Mann starken Truppe. Andernfalls drohten «ethnische Säuberungen». Andere Beobachter sprechen bereits von einem neuen Völkermord, ähnlich jenem vor rund 15 Jahren in Ruanda, bei dem Hunderttausende ums Leben kamen.

Fast schon hilflos wirkt da der Appell von Fussball-Idol Didier Drogba, der beim Qualifikationsspiel für den Afrika Cup 2012 gegen Benin am Sonntag ein Unterhemd mit der Aufschrift «Für Frieden in der Elfenbeinküste» trug. Der Match - das «Heimteam» siegte mit 2:1 - musste wegen der Gewalt in die ghanaische Hauptstadt Accra verlegt werden.