Polizei fahndet nach Serienmörder/Long Island
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Eigentlich suchte die Polizei auf Long Island nach einer 24-jährigen Frau - sie fand acht Leichen, die Vermisste ist nicht darunter. Alle Toten lagen nah beieinander, mindestens vier von ihnen waren Prostituierte. Die Polizei geht von einem Serienmörder aus.

Hamburg - Es war der 1. Mai 2010, kurz vor fünf Uhr morgens, er habe sich gerade rasiert, als jemand vor seinem Haus schrie und gegen die Tür hämmerte. Er öffnete, vor ihm stand eine junge Frau, sie sagte immer wieder: "Helfen Sie mir."

So erzählte es Gustav Coletti, 74, später den Ermittlern. Coletti rief die Polizei, doch die Frau blieb nicht, sie rannte davon. Coletti ist der letzte, der Shannan Gilbert, 24, gesehen hat. Ein Passant will noch gehört haben, wie sie schrie: "Sie wollen mich umbringen."

Coletti wohnt mit seiner Frau in einer bewachten Wohnanlage am Oak Beach, Long Island. Die Häuser sind hier schön und teuer, Long Island ist der Rückzugsort für die New Yorker, die es sich leisten können. Es ist das genaue Gegenteil zu den Häuserschluchten von Manhattan: ruhig, weit, luftig.

Die Polizei suchte nach Shannan am Oak Beach, vergebens. Sie weitete die Suche auf der Insel aus, Shannan blieb verschollen, doch ergebnislos blieben die Ermittlungen auf Long Island nicht: Im Dezember spürte ein Polizeihund die erste Leiche auf, nahe des Gilgo Beach, nicht weit entfernt von Colettis Haus. Zwei Tage später stießen die Ermittler auf drei weitere Körper. Alle vier Tote waren Frauen, sie waren zwischen Juli 2007 und September 2010 vermisst gemeldet worden. Die Fundorte lagen jeweils rund 150 Meter auseinander, entlang des Ocean Parkway.

Nun wurden die Ermittler erneut fündig: Rund eineinhalb Kilometer östlich des ersten Fundorts stießen die Ermittler Ende März wieder auf eine Leiche und wenige Tage später, am Montag, entdeckten sie nicht weit entfernt drei weitere Körper. Die Polizei hat bisher nur sehr wenig über die Toten bekannt gegeben, aber eines ist nach ihren Angaben sicher: Shannan Gilbert ist nicht unter ihnen. Sie wäre leicht zu identifizieren, sie hat ein Metall-Implantat im Oberkörper.

Wo war Gilbert geblieben - und gab es womöglich weitere Leichen?

Die Ende 2010 gefundenen Leichen waren in Sackleinen gewickelt und nur wenige Schritte von der Durchgangsstraße entfernt in Büschen versteckt. Nach einem Bericht der Lokalzeitung "Newsday" schließen die Ermittler daraus, dass der Täter seine Opfer vom Auto aus dort ablud.

Die Polizei fand heraus, dass die Leichen zu unterschiedlichen Zeiten abgelegt worden waren. Und: Alle vier Frauen waren Mitte 20, arbeiteten als Prostituierte und suchten Kunden auf Craigslist, einem Onlineportal für Kleinanzeigen. Wie Shannan Gilbert. Augenzeugen berichteten später, sie hätten zwei der Frauen in billigen Hotels auf Long Island gesehen, kurz bevor sie als vermisst gemeldet wurden.

Die Polizei sprach bald von einem Serienmörder, sie stand vor einem Rätsel: Wo war Gilbert geblieben - und gab es womöglich weitere Leichen? Sie suchte weiter, ging mit Spürhunden durch das dichte Gebüsch, das den Rand des Ocean Parkway säumt und stieß so auf die vier anderen Toten.

Die Polizei sucht weiter, nach Hinweisen, nach Shannan Gilbert

Spätestens nach den jüngsten Leichenfunden geht die Angst um auf Long Island. Zuvor kosteten Häuser im Schnitt eine Million Dollar, sagt Coletti, der Mann, der Shannan Gilbert zuletzt gesehen hatte. Nun seien die Preise in seinem Viertel auf kaum mehr als 600.000 Dollar gesunken. "Früher kamen immer zehn bis zwölf Interessenten, wenn ein Haus zu verkaufen war", sagte Coletti der "New York Times". "Heute kommt keiner mehr."

Ob oder wie die vier vor kurzem gefundenen Leichen in Zusammenhang mit den anderen Toten stehen, ist noch vollkommen unklar. Der für die Ermittlungen zuständige Polizeichef Dominick Varrone sagte, die jüngst gefundenen Körper hätten mindestens so lange an ihren Fundorten gelegen, wie die zuerst entdeckten Leichen. Drei der vier nun aufgespürten Toten seien "in beträchtlichem Abstand" zu den ersten Leichen gelegen.

Die Polizei sucht weiter, nach Hinweisen, nach Shannan Gilbert. Sie hat das Gebiet auf elf Kilometer ausgeweitet, setzt Helikopter ein, die Feuerwehr hilft dabei, das dichte Gestrüpp zu beseitigen.

"Es ist beunruhigend", sagte Polizeichef Varron der "New York Times". Allerdings lägen die Verbrechen einige Zeit zurück und man habe keine Hinweise auf Taten in der jüngsten Vergangenheit. "Das ist ein wenig tröstlich." Mit jeder gefundenen Leiche steige die Hoffnung, dass sie den Ermittlern wertvolle Hinweise gebe, "wertvolle Teile eines Puzzles, das uns hilft, den Fall zu lösen".

Die Angehörigen von Shannan Gilbert bangen weiter. Ihre Schwester Sherre sagte der Zeitung "Newsday" zu den jüngsten Leichenfunden: "Du bereitest dich auf das Schlimmste vor, und dann erfährst du, dass sie nicht unter den Toten ist. Wie soll man damit umgehen?" Sie habe Angst, dass ihre Schwester niemals gefunden werde.