Markt von Tripolis ausgestorben
© dpaWie ausgestorben: die leergefegten Gassen des Marktes in Tripolis, Libyen. Viele Geschäfte sind immer noch geschlossen oder unterversorgt nach dem Beginn der von der Uno authorisierten Luftangriffe.
Kampfjets der Nato haben am Donnerstag versehentlich einen Fahrzeugkonvoi der Anti-Gaddafi-Milizen bombardiert und dabei mehr als zehn Aufständische getötet.

London/Algier/Bengasi. Der Zwischenfall, der sich auf der Mittelmeer-Küstenstraße auf halbem Wege zwischen Adschdabija und Al-Brega ereignete, ging auf das Konto des angegriffenen Konvois, der unerlaubt in eine Sperrzone gefahren war, sagten Aufständische in Adschdabija.

Mehrere Autos der Anti-Gaddafi-Kämpfer wurden zerstört, hieß es. Ein dpa-Fotograf in Adschdabija berichtete, dass Rebellen am Kontrollpunkt beim Westausgang der Stadt keine Fahrzeuge mehr durchließen.

Bereits am vergangenen Freitag hatten Nato-Jets im selben Gebiet versehentlich eine Rebellen-Stellung angegriffen. Dabei waren 13 Aufständische getötet und elf weitere verletzt worden. Das Bombardement hatten die Rebellen ausgelöst, als sie mit einem Luftabwehrgeschütz aus Freude über die nahenden Nato-Flugzeuge in den Himmel geschossen hatten.

Rebellen international anerkannt

Die Truppen des libyschen Machthabers Muammar el Gaddafi haben nach Zeugenberichten am Montag den Beschuss aufständischer Städte in der westlichen Bergregion Dschabal el Gharbi fortgesetzt. Einheiten Gaddafis hätten Grad-Raketen auf die Stadt Nalut nahe der Grenze zu Tunesien gefeuert, sagte ein Einwohner der Nachrichtenagentur AFP. Demnach kamen Aufständische aus den östlich gelegenen Städten Sintan und Dschado zur Unterstützung nach Nalut, das etwa 230 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Tripolis liegt.

Wie der Zeuge weiter sagte, war es den Regierungstruppen zuvor nach „intensivem Bombardement“ gelungen, die Stadt Ketla einzunehmen. Ein anderer Bewohner aus der Region sagte, „zahlreiche Zivilisten“ seien bei dem wahllosen Beschuss der Städte ums Leben gekommen. In der bergigen Region gehören die meisten Menschen der Ethnie der Berber an.

Der oppositionelle Nationalrat in Bengasi warf den Truppen Gaddafis zudem vor, eine Erdölanlage in Mislah im Süden des Landes angegriffen zu haben. Dabei sei ein Dieseltank beschädigt worden. Die Aufständischen hatten am Freitag erklärt, ein Abkommen mit Katar für den „Tausch“ von Erdöl gegen Lieferungen von Nahrung, Treibstoff und Medikamenten geschlossen zu haben. Ein Sprecher der nationalen Erdöl-Gesellschaft Katars bestätigte dies jedoch nicht.

Internationale Anerkennung der Rebellen

Immer mehr Staaten erkennen die libyschen Rebellen als legitime Vertreter des nordafrikanischen Landes an. Nach Frankreich und anderen EU-Staaten folgte am Montag Italien, das bis vor kurzem noch enge Beziehungen zu Machthaber Muammar Gaddafi unterhielt. Außenminister Franco Frattini traf sich in Rom mit einem führenden Vertreter der Aufständischen und wies ein Waffenstillstandsangebot Gaddafis in Bausch und Bogen zurück: „Diese Vorschläge sind nicht glaubwürdig.“ Auf dem Schlachtfeld deutete nichts auf eine bevorstehende Feuerpause hin. Die Kämpfe um die ost-libysche Ölstadt Brega und den Rebellen-Vorposten Misrata im Westen des nordafrikanischen Landes gingen mit unveränderter Härte weiter. Die Menschen in Misrata seien „in der Hölle gefangen“, sagte ein Verwundeter.

Frattini sagte, Italien erkenne nur noch die Führung der Rebellen als legitime Vertretung des libyschen Volkes an. „Eine Lösung für die Zukunft Libyens hat eine Vorbedingung: Gaddafis Regime muss verschwinden, Gaddafi und seine Familie müssen das Land verlassen.“ Kuwait kündigte an, die Rebellen in den kommenden Tagen aufzuwerten. Als erster arabischer Staat hatte Katar Gaddafis Gegner im März anerkannt.

Auch die EU bemüht sich um bessere Kontakte zu den Rebellen. Das Büro von Außenamtschefin Catherine Ashton kündigte für Dienstag die Entsendung einer Delegation nach Benghasi, dem Sitz des Rebellenrats, an. Die EU-Abgesandten sollten Informationen sammeln, hieß es in Brüssel. Direkte Kontakte zu Gaddafis Regierung seien nicht geplant. Im Gegensatz zu Mitgliedsländern erkennt die Europäische Union den oppositionellen Libyschen Nationalrat nicht an. Mehrere EU-Staaten beteiligen sich an der Durchsetzung eines Flugverbots über Libyen und Luftangriffen.

Experten schließen Rolle für Gaddafis Söhne aus

Die für die Koordination der internationalen Libyen-Politik eingesetzte Kontaktgruppe wird sich kommende Woche in Katar treffen. Dabei gehe es um die Ausrüstung der Rebellen mit Gerät, um die Zivilbevölkerung von Angriffen zu schützen, sagte der britische Außenminister William Hague. Waffen gehörten nicht dazu.

Gaddafis jüngster Vorstoß für einen Waffenstillstand stieß international auf wenig Interesse. Dies und die Vorschläge, einem von Gaddafis Söhnen eine Rolle in einer Regierung der nationalen Einheit zu geben, seien unrealistisch, erklärten Experten. „Es funktioniert nicht“, sagte der frühere britische Botschafter in Tripolis, Oliver Miles. „So bald Gaddafi abtritt, hängen seine Söhne politisch tot überm Zaun, weil er sie befördert hat.“

Der stellvertretende libysche Außenminister Abdelati Obeida war am Sonntag überraschend in Athen eingetroffen, um bei der griechischen Regierung für einen Waffenstillstand zu werben. Ein Sprecher des griechischen Außenministeriums sagte, es müsse nun abgewartet werden, ob in Libyen ein nationaler Dialog möglich sei.

Die Türkei, wo Obeida am Montag eintraf, erklärte sich jedoch zur Vermittlung bereit. Die Regierung in Ankara wolle darüber auch mit einem Vertreter der Rebellen beraten. Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan hatte Gaddafi im März vergebens zu überzeugen versucht, einem gewählten Präsidenten oder einer gewählten Führung die Macht zu übertragen. Am Dienstag wird Obeida auf Malta erwartet.

Derweil verkündeten die Rebellen, sie hätten die umkämpfte Ölstadt Brega wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Gaddafis Truppen stünden nun am westlichen Stadtrand. Jeder Vorstoß der Rebellen werde mit Beschuss aus Granatwerfern beantwortet. Die Stadt wechselte bereits mehrfach den Besitzer. Besonders heftig wird auch um Misrata im Westen Libyens gekämpft. Aus der Stadt in Sicherheit gebrachte Verwundete sprachen einem Massaker, das sich dort abspiele.

Al-Qaida beschafft sich Waffen in Libyen

Die Al-Qaida nutzt nach Angaben aus algerischen Sicherheitskreisen das Chaos in Libyen, um sich hochwertige Waffen zu beschaffen. Darunter seien auch Flugabwehrraketen des Typs SAM-7, die von der Schulter aus abgefeuert werden können, sagte ein Sicherheitsbeamter, der namentlich nicht genannt werden wollte, am Montag der Nachrichtenagentur Reuters. Vor einigen Tagen sei ein Konvoi von acht Kleinlastern aus Ost-Libyen über den Chad und Niger nach Nord-Mali gefahren. „Und wir wissen, dass das nicht der erste Konvoi ist“, sagte der Beamte.

Die Pick-Up-Trucks hätten unter anderem panzerbrechende Granaten, schwere Maschinengewehre, Sturmgewehre, Sprengstoff und Munition befördert, hieß es weiter. Bekannt sei auch, dass die Islamisten im Besitz der Flugabwehrraketen seien. Die zum Teil in Russland hergestellten Waffen stammten aus Libyen, wo mehrere Kasernen und Waffenlager geplündert worden seien. Es sei undenkbar, dass die Vertreter der nordafrikanischen Al-Qaida-Gruppe AQIM vor Ort „diese Gelegenheit nicht genutzt haben“. Die Gruppe verfüge über exzellente Verbindungen zu den örtlichen Schmugglern. Diese überquerten nach Belieben die südlibysche Grenze. „Sie werden wahrscheinlich von der AQIM den Auftrag bekommen, die Waffen herbeizuschaffen.“

Algerien kämpft seit fast zwei Jahrzehnten gegen radikale Islamisten, die sich in den vergangenen Jahren zur Al-Qaida bekennen. Die Sicherheitskräfte des Landes überwachen auch die Aktivitäten radikaler Muslime außerhalb Algeriens.

(Mit Material von afp/dpa/reuters)