Mit seiner neuen Kampagne "Qualität nehmen wir persönlich" hat Nestlé einen Proteststurm im Netz losgetreten. Der Vorwurf: Der Konzern brüste sich mit der Entwicklung gesunder Nahrung, während er nachweislich Menschen und Umwelt gefährde. Berechtigte Kritik - aber am falschen Objekt.

"Als Heinrich Nestlé 1814 geboren wurde, lag die Lebenserwartung bei 37 Jahren. Sechs seiner Geschwister starben im Kindesalter...". So beginnt ein ungewöhnlicher Werbe-Clip des Lebensmittel-GigantenNestlé. In der Fachsprache nennt man so etwas eine "Corporate-Kampagne" - Werbung mit der eigenen Firmengeschichte und -philosophie.


Der historisierende Clip (man sieht auf alt getrimmte Doku-Fiktion-Bilder im Familienheim und dann im Labor) erzählt die Geschichte des Firmengründers nach und leitet damit direkt in die angeblich weltverbessernde Suche des Konzerns nach "besserer Nahrung" über: Man lernt, wie Firmengründer Heinrich Nestlé als Kind miterleben musste, wie Mangelernährung zum Tode vieler Neugeborener führt. Das habe er ändern wollen und so entwickelte er Nahrung für Säuglinge, deren Mütter nicht stillen konnten. Danach werden die heutigen Produkte des Konzerns gezeigt, quasi als Fortführung seines Kampfes für gesunde und ausgewogene Ernährung: "Wir finden heraus, wie man etwas besser machen kann. Und so machen wir es dann auch. Gestern. Heute. Und morgen."


Skandalfirma Nestlé


Ein hehrer Anspruch, der in Anbetracht der vielen Lebensmittel- und Umweltskandale rund um den global agierenden Produzenten für viele wie Hohn wirkt. Gleich nach der Ausstrahlung in der Pause von Germany's Next Topmodel regte sich im Netz reger Protest. Tatsächlich geriet Nestlé in den vergangenen Jahren gleich mehrfach in die Schlagzeilen. Der Konzern beute etwa die Grundwasservorräte in Dritte-Welt-Ländern aus, so dass der Grundwasserspiegel sinke, hieß es. Nestlé beziehe auch sein Palmöl für die Herstellung von Schokoriegeln von Unternehmen, die rechtswidrig wertvollen Regenwald rodeten. Gentechnik, Kinderarbeit und Pferdefleisch in Rinderlasagne kommen hinzu.

"Wir haben damit gerechnet, dass unsere Kampagne einige Diskussionen auslösen wird. Und auch damit, dass dieser Film nicht jedem zusagt", kommentierte die Social Media-Crew von Nestlé bei Facebook. Das ist dünn und wirkt ein wenig hilflos.

Ein Mißverständnis

Dabei müssen sich die Macher dieses Clips solche Häme gar nicht gefallen lassen. Zwar ist es immer etwas zweifelhaft, einem Unternehmer reine Selbstlosigkeit und humanistische Ideale zu unterstellen (der Mann wollte reich werden). Doch ist die Argumentation des Films nach wie vor gültig. Nestlé war und ist ein Vertreter jener Industrie, welche die Natur mit künstlichen Mitteln "besser" machen will. Aus dieser Idee heraus stammen auch Impfmittel und Dünger. Instant-Produkte und Ersatzstoffe bekämpfen zudem Hungersnöte weltweit. Es geht hier also nicht um ökologische Lebensmittel-Schonung, sondern um deren Erfindung.

Zudem leistet sich der Konzern seit ein paar Jahren eine Qualitätskampagne, um regionale Herstellung, nachhaltigen Anbau von Rohstoffen sowie Salz- und Zuckerreduzierung in Produkten voranzubringen. Immerhin.

Egal ob Gesinnungswechsel oder Ablenkungskampagne - Nestlé hat auf die Forderung vieler Menschen nach einem verantwortungsvollerem Umgang mit Lebensmitteln reagiert. Insofern war die Kritik der User wirkungsvoll. Der (etwas kitschige) Clip über den Firmengründer führt dabei nicht in die irre, sondern erklärt, wie lebendig die Vision von Lebensmittelerfindung heute noch immer ist. Like it or not.