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© Burda AkademieDer Münchner Hirnforscher Prof. Dr. Ernst Pöppel
Unser Gehirn ist auf Schnelligkeit trainiert, Nicht-Relevantes entsorgt es von selbst - nicht immer zu unserer Zufriedenheit. Hirnforscher Ernst Pöppel plädiert für einen entspannten Umgang mit Wissenslücken.

Mit Trivial Pursuit fing es an. 1981 kam das Spiel der Belanglosigkeiten auf den Markt und zeigte, dass Allgemeinbildung Spaß machen kann. Inzwischen gehören Quiz-Shows zum Alltag und Allgemeinbildungslexika füllen die Regale. Wie eine Sucht grassiert der Wunsch, in möglichst vielen Bereichen Bescheid zu wissen. Und das, obwohl die Welt immer komplexer wird - und der Umfang an verfügbaren Daten immer größer. Alle fünf bis sieben Jahre soll sich das weltweit verfügbare Wissen verdoppeln, schätzen Experten.

FOCUS-Online hat Professor Ernst Pöppel, Psychologe und Hirnforscher, gefragt: Ist es überhaupt sinnvoll für den Einzelnen, so viel Allgemeinwissen anzuhäufen? Besteht nicht die Gefahr, das Gehirn zu überfrachten?

Ernst Pöppel: Menschen sollten ein Orientierungswissen haben, eine Landkarte des Wissens, das sich um die zentralen Themen unseres Lebens dreht. Das wäre heute z.B. Basiswissen über die Finanzmärkte, andere Kulturen, Energie- und Umweltthemen plus ein bisschen Geschichte. Viele andere Themen, die in Quiz-Shows oder Gesellschaftsspielen abgefragt werden, sind meines Erachtens völlig unwichtig, das Wissens darüber unnütz.

FOCUS-Online: Wie können wir Menschen Wissen selektieren bei der Informationsflut, die auf uns einprasselt? Wie können wir für uns Unwichtiges ausblenden?

Pöppel: Jeder muss selbst entscheiden, was für ihn wichitg ist und sich darauf konzentrieren. Die Selektion übernimmt unser Gehirn ganz von selbst. Unser Zentralorgan ist heute auf Schnelligkeit trainiert, es kümmert sich selbst um die kreative Müllbeseitigung. Komplexitätsreduktion ist das Geschäft des menschlichen Gehirns, Vergessen absolut notwendig. Menschen sollten gar nicht versuchen, sich alles zu merken, das Gehirn sondiert automatisch das aus, was für uns nicht relevant ist.

FOCUS-Online: Wodurch definiert sich diese Relevanz für den Einzelnen?

Pöppel: Für das Gehirn relevant ist alles, zu dem es Bezugspunkte im vorhandenen Wissen und der Persönlichkeit findet. 99 Prozent dessen, was wir am Tag aufnehmen, ist am Abend wieder weg. Was bleibt, ist das, bei dem das Gehirn einen Kontext zu bereits Vorhandenem herstellen konnte und es dementsprechend als wichtig bewertet hat.

FOCUS-Online: Warum ist es so schwierig, unliebsame Dinge zu vergessen - und warum bleiben dafür andere, die man sich gerne merken würde, niemals hängen?

Pöppel: Ereignisse, die emotional wichtig für einen Menschen sind, brennen sich in das Gedächtnis ein und der Mensch kann sich davon nicht befreien, so sehr er das auch versucht. Vergessenstechniken gibt es eben nicht. Das ist auch gut so, denn diese Erinnerungen sind Teil unserer Identität, sie machen uns zu der Persönlichkeit, die wir sind, und helfen uns selbst die Frage zu beantworten, wer wir sind. Diese „episodic memories“ bestehen meist nur aus ein paar hundert Bildern, die wir intuitiv aufrufen und die uns helfen, Neues zu bewerten.

Warum behält man denn Dinge? Nicht, um in Gesprächen zu protzen, sondern weil sie ein wichtiger Teil unserer Lebensgeschichte sind, weil sie bestimmen, wer wir sind. Es geht darum, uns selbst zu entdecken. Was uns hilft, ist, dass wir im Grundsatz optimistische Wesen sind. Negative Erfahrungen verklären wir mit der Zeit, wir sind nicht mehr so betroffen.

FOCUS-Online: Und woran liegt es dann, dass wir uns manche Dinge gar nicht merken können?

Pöppel: Wir merken uns nur das, das wir mit etwas verknüpfen können, für uns bereits eine Bedeutung hat. Seien Sie also bitte nicht verzweifelt, wenn Sie sich keine Namen merken können, Namen sind Zufallssilben, das gehört zu den schwierigsten Übungen für das Gedächtnis. Außerdem: Das Wiedererkennen von Personen erfolgt in einem Kontext und wenn dieser plötzlich ein anderer als der Gewohnte ist, erkennen wir den Menschen plötzlich nicht mehr. Das ist völlig normal.

FOCUS-Online: Gibt es so etwas wie ein definiertes Fassungsvermögen des Gedächtnisses, stößt der Mensch irgendwann an seine Grenzen?

Pöppel: Natürlich gibt es Unterschiede in der Aufnahmefähigkeit der Gehirne, das ist bei jedem Menschen anders. Auf jeden Fall hilft es, das Gedächtnis durch Lernen früh zu schulen. Was das Gehirn letztendlich für aussortierbar hält, darauf hat der Einzelne aber keinen Einfluss.