Husni Mubarak und seine Söhne sind offiziell Untersuchungshäftlinge - für Ägypter ein Grund zum Feiern. Doch die Zeichen stehen nicht auf Entwarnung.

Das Tora-Gefängnis ist eines der bekanntesten in Ägypten. Es liegt im Süden der Hauptstadt, und bisher saßen hier meist unbekannte Schwerverbrecher. Das Gefängnis hat prominenten Zugang erhalten: die Söhne des ehemaligen Präsidenten Husni Mubarak.

Der Geschäftsmann Alaa (49) und sein jüngerer Bruder Gamal Mubarak (47), der bis zum Sturz des alten Regimes als Nachfolger seines Vaters gehandelt wurde, sind von Scharm al-Scheich am Toten Meer nach Kairo ausgeflogen worden, um dort vernommen zu werden.

Auch der ehemalige Präsident ist jetzt offiziell ein Untersuchungshäftling. Ihm werden Korruption und Machtmissbrauch vorgeworfen. Er soll bei der ersten Vernehmung am Dienstag einen Herzinfarkt erlitten haben und wird seitdem im Krankenhaus behandelt.

In der Internet-Gemeinde wird die Nachricht von der Verhaftung Mubaraks und seiner beiden Söhne mit Genugtuung und ausgelassener Freude aufgenommen. „Ich will diesen Tag zum nationalen Tag der Gerechtigkeit ausrufen“, schreibt Mahmud Salem, der unter dem Pseudonym Sandmonkey zu einem der bekanntesten Blogger Ägyptens wurde. Andere wollen einfach nur feiern und rufen in den sozialen Netzwerken Twitter und Facebook zum „nationalen Party-Tag“ auf.

Die Verhaftung der Mubaraks ist ein Erfolg für all diejenigen, die seit dem 25. Januar für Freiheit und Demokratie im Land kämpfen. In den vergangenen Wochen war die Frustration bei den Menschen in Ägypten immer größer geworden. Zwar wurden einige hochrangige Mitglieder des Mubarak-Regimes verhaftet, doch der ehemalige Präsident und seine Familie waren lediglich unter Hausarrest gestellt worden - noch dazu im Badeort Scharm al-Scheich, was viele in Ägypten aufbrachte. Und auch jetzt - trotz der Freude über die Verhaftung - mischt sich Skepsis und Vorsicht unter die Aussagen der Blogger und Demonstranten vom Tahrir-Platz.
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Die Aktivistin Gigi Ibrahim sagt: „Mubarak im Gefängnis ist ein Zeichen dafür, dass die Revolution erfolgreich ist, aber sie ist definitiv noch nicht vorbei! Wir sind bis hierher gekommen, weil wir Druck ausgeübt und den Kampf fortgesetzt haben.“ Vor allem die jungen Blogger haben Grund, skeptisch zu sein.

Als vor wenigen Tagen Maikel Nabil von einem ägyptischen Militärgericht zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, fühlten sich viele an die Mubarak-Jahre erinnert, als Blogger für Jahre ins Gefängnis kamen, weil sie im Internet ihre Meinung frei geäußert hatten. Nach dem Sturz Mubaraks am 11. Februar, so dachten die meisten in der ersten Euphorie, würde es diese Willkür und die brutale Unterdrückung der Meinungsfreiheit nicht mehr geben.

Und nun das. In Abwesenheit seiner selbst und seiner Anwälte, die des Gerichtssaals verwiesen worden waren mit der Begründung, der Prozess sei verschoben, wurde Maikel Nabil verurteilt. Der Blogger hatte in einem Artikel behauptet, dass die Armee Zivilisten gefoltert und das Ägyptische Museum am Tahrir-Platz als Foltergefängnis missbraucht habe. Nabil berief sich auf Artikel aus der internationalen Presse. Am 28. März, kurz nach Veröffentlichung des Blog-Eintrags, wurde er vor seinem Haus verhaftet und angeklagt, falsche Informationen publiziert und das Militär beleidigt zu haben.

Vier Jahre Haft für ägyptischen Blogger

Als der ägyptische Blogger Karim Amer 2007 wegen seiner Blog-Einträge zu vier Jahren Haft verurteilt wurde, klang die Anklage ganz ähnlich. Ihm wurde vorgeworfen, Mubarak und den Islam verunglimpft zu haben. Der damals 19-Jährige verbrachte die gesamte Strafe hinter Gittern, erst im November 2010 wurde er aus der Haft entlassen. „Die Verurteilung Maikel Nabils ist eine klare Botschaft der Armee, dass jeder Zivilist, der sich negativ über das Militär äußert, verhaftet wird“, sagt Adel Ramadan, Anwalt in der Ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte, die Teil des Verteidigungsteams des Bloggers war.

Die Reaktionen auf die Verurteilung Maikel Nabils kamen prompt. Vor allem durch die Internet-Gemeinde ging ein Aufschrei der Empörung. Es sei „ein trauriger Tag für Blogger und die Menschenrechte in Ägypten“.

Für viele war die Verurteilung nur ein weiteres Zeichen dafür, dass sich in Ägypten trotz des Sturzes Mubaraks kaum etwas verändert hat. Die Frustration ist bei den Revolutionären in den vergangenen Wochen stetig gestiegen und entlud sich am vergangenen Freitag in einer der größten Demonstrationen am Tahrir-Platz seit dem Sturz des Autokraten.

Demonstranten wollen Mubarak vor Gericht

Die Demonstranten forderten, dass Mubarak und führende Figuren seines Regimes endlich vor Gericht gestellt werden. „Wie kann es sein, dass Zivilisten und Aktivisten vor ein Militärgericht gestellt werden, während ehemaligen Offiziellen langsame und ‚faire‘ Prozesse vor Zivilgerichten gemacht werden?“, empört sich Leil-Zahra Mortada auf Twitter. „Wir müssen weiterhin Druck auf die Armee ausüben, nur deshalb sind wir so weit gekommen“, antwortet Gigi Ibrahim.

Den Ausspruch „Die Armee und das Volk gehen Hand in Hand“ glaubten in den vergangenen Wochen nur noch die wenigsten, vor allem nachdem das Militär den Protest am Tahrir-Platz Freitagnacht mit Gewalt auflöste. Die Armee wird beschuldigt, in dieser Nacht scharf geschossen zu haben. Eine Anschuldigung, die das Militär bestreitet. Fakt ist, dass nach offiziellen Angaben ein Mensch ums Leben kam; in den Medien wird von zwei Toten gesprochen und mehr als 70 Verletzten.

Wachsende Unzufriedenheit mit Militär

Die Jugendkoalition der Revolution des 25. Januar setzt ihre Verhandlungen mit dem Militärs nun so lange aus, bis eine Untersuchung zu dem Angriff eingeleitet wird. Trotzdem warnt deren Sprecher Nasser Abdel Hamed vor einer Verschlechterung der Beziehung von Militär und Zivilbevölkerung in der jetzigen, kritischen Phase, in der sich Ägypten befindet: „Das Militär sei die einzige Institution, die den Übergang in die Demokratie in den kommenden Monaten leiten und absichern kann.“

Trotz wachsender Unzufriedenheit mit dem Militär und dem Gefühl, dass vieles nicht schnell genug geht, glauben trotzdem weiterhin viele daran, dass sich Ägypten seit dem Beginn der Proteste am 25. Januar auf dem Weg in ein freieres, demokratischeres Land befindet. Die jetzige Situation sei trotz allem nicht mit der unter Mubarak zu vergleichen, meint der Blogger Mahmud Salem.

Weitere Optionen möglich

„Unter Mubarak waren die Optionen, entweder die Konfrontation mit der Polizei zu suchen oder ‚Reformen‘ aus der NDP heraus zu erwarten. Wir mussten die Konfrontation wählen.“ Aber nun gäbe es viele andere Optionen: „Wir können protestieren, Druck ausüben, uns organisieren und Wahlen gewinnen. Wir können die Regeln des Spiels schreiben.“

Genau das versuchen im neuen Ägypten viele Parteien. Zeichen für den Wandel im Land sind überall zu sehen und zu spüren. Nie wurde so viel und so emotional über Politik diskutiert. Es entstehen neue Parteien, die die Mannigfaltigkeit der ägyptischen Gesellschaft repräsentieren. Sei es die liberale Partei der Freien Ägypter, gegründet vom Geschäftsmann Naguib Sawiris, oder die verschiedenen, mehr oder weniger islamischen Parteien, die sich in dem neuen Klima der Freiheit in ihrer Unterschiedlichkeit herauskristallisieren.

Stärkste Oppositionsgruppe ist Muslimbruderschaft

Die Muslimbruderschaft, jahrzehntelang unterdrückt und die stärkste Oppositionsgruppe, steht vielleicht vor ihrer größten Herausforderung seit ihrer Gründung 1928. Denn es gibt jetzt schon Abtrünnige aus den eigenen Reihen, die ihre eigenen Parteien gründen wollen. In der Muslimbruder-Jugend gibt es viele, die unzufrieden sind mit der alten Garde der Partei.

Die kommenden Monate werden entscheidend sein für die Zukunft Ägyptens, die Wahlen im September werden den Kurs der kommenden Jahre bestimmen. In einem Brief, den Maikel Nabil aus dem Gefängnis herausschmuggeln konnte, schreibt er: „Freiheit hat einen Preis. Ich zahle ihn im Gefängnis, ihr zahlt ihn dort draußen.“