1997 ging bei einem Unglück auf hoher See ein Container über Bord eines Frachtschiffes. Seitdem werden Legosteine an einen britischen Strand gespült. Darunter der Hauptgewinn: ein grüner Drache.
© Tracey Williams/LegoLostAtSea
Wer in Perranporth im Südwesten Großbritanniens am Strand spaziert, findet allerlei Treibgut: Muscheln, Steine und Seetang. Wer Glück hat, findet aber noch etwas anderes, nämlich einen Drachen. In Grün oder Schwarz - und zwar von Lego.
Grund dafür ist ein Unfall auf hoher See: Im Februar 1997 befand sich das Frachtschiff
Tokio Express gerade auf dem Weg von Amsterdam nach New York, als es vor der Küste Englands von einer riesigen Welle getroffen wurde. Durch die Wucht des Aufpralls lösten sich insgesamt 62 Container und fielen ins Meer.
Einer von ihnen war gefüllt mit genau 4.756.940 Lego-Teilen, darunter ganze Spielesets zu Themen wie Taucher, Aquazone, Ritter, Piraten, Wilder Westen, Polizei oder Zeitreisende.
Doch die Fracht ging nicht verloren, zumindest nicht ganz. Noch 17 Jahre nach der Havarie tauchen einige der Figuren auf, sie werden Jahr für Jahr an den Strand von Cornwall gespült, wo Spaziergänger sie finden. Insgesamt befanden sich 33.941 schwarze und grüne Drachen, 4200 Oktopusse, 26.600 gelbe Schwimmwesten sowie 353.264 weiße, gelbe und rote Gänseblümchen im Container.
Anwohner sammeln die Legoteile"In den Neunzigern haben Kinder ganze Eimer voll mit Drachen gesammelt und verkauft", sagt Tracey Williams aus dem nahe gelegenen Newquay dem TV-Sender BBC. Diese seien jedoch rar geworden. "Der heilige Gral heutzutage ist eine Oktopus- oder eine Drachen-Figur. Ich weiß nur von drei Stück, die entdeckt wurden, eine davon habe ich selbst gefunden."
Die Anwohner veranstalten inzwischen regelrechte Wettbewerbe. "Wenn du hörst, dass dein Nachbar einen grünen Drachen entdeckt hat, dann willst du auch rausgehen und einen finden", erklärt Tracey Williams weiter. Vor allem nach einem Sturm steige die Chance für einen Fund. Passenderweise stellt ein Großteil der Lego-Fracht maritime Motive dar, darunter Piraten-Säbel, Schwimmwesten, Segel und Kraken, aber auch Blumen oder die schon erwähnten Drachen.
Tracey Williams betreibt mittlerweile eine Facebook-Seite, auf der sie darüber berichtet, wo die Figuren der Ladung angespült werden. Neben Cornwall auch an der Küste von Wales und Irland, es gebe sogar eine Sichtung in Australien. Leider könne aber nicht genau nachgewiesen werden, ob das Teil wirklich aus der Ladung der
Tokio Express stamme.
Live-Experiment zum Beobachten von MeeresströmungenFälle wie die der Lego-Teilchen sind nicht nur kurios, sondern haben sogar einen wissenschaftlichen Nutzen. Noch immer ist nicht abschließend geklärt, wie die Strömungen innerhalb der Ozeane funktionieren. Wird nun verloren gegangene Fracht an die Strände angeschwemmt, lassen sich Rückschlüsse auf die Strecke ziehen. Der berühmteste Fall von solchem Treibgut sind die
Friendly Floatees, Tausende gelbe Plastikenten, die 1992 im nördlichen Pazifik über Bord gingen und seitdem weltweit an den Stränden auftauchen.
Laut Meeresforschern dauert es ungefähr drei Jahre, bis Treibgut einmal den Atlantik überquert. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit also können auch Teile der vor 17 Jahren versunkenen Lego-Ladung an die amerikanische Ostküste gelangt sein.
Der amerikanische Meeresforscher Curtis Ebbesmeyer hat den Verlauf der Legos in den vergangenen Jahren verfolgt: "Das Spannende dabei ist, wo die Teile ankommen. Nach 17 Jahren sind sie allerdings nur eindeutig vor der Küste von Cornwall gesichtet worden." Nach Aussage von Ebbesmeyer könnten die Spielzeuge aber auch überall auf der Welt verstreut sein, auch in Australien. Seit 1997 hätten einige der Teile 62.000 Meilen auf dem Wasser zurückgelegt. Der Erdumfang am Äquator beträgt aber nur 24.000 Meilen.
Doch von den Legosteinen geht auch eine Gefahr aus:
Weil sie zum Teil sehr klein sind, werden sie oft von Tieren wie Fischen oder Vögeln gefressen. Diese verhungern dann mit vollem Magen. Zudem lösen die Wellenbewegungen, das Salzwasser und die Sonne die Kunststoffe in immer kleinere Teile auf. Aus dem Plastik entstehen sogenannte Pellets, die auch von kleineren Meerestieren mit Plankton verwechselt und gefressen werden. Über Umwege gelangen die Plastikteile so auch wieder zum Menschen und in die menschliche Nahrungskette. Das betrifft allerdings sämtlichen im Meer treibenden Müll, nicht nur die Legos.
675 Container gehen pro Jahr verlorenWas mit den anderen 61 Containern passiert ist, die 1997 über Bord gingen, weiß niemand. Sie befinden sich wahrscheinlich auf dem Grund des Ärmelkanals, wie Ebbesmeyer auf seiner Webseite vermutet. Auch wo der Lego-Container genau liegt, kann er nicht bestimmen.
Nach Angaben des World Shipping Council, einer Handelsorganisation der Reeder, gehen jedes Jahr 350 Container auf See verloren. Rechne man Katastrophenvorfälle dazu, bei denen auf einen Schlag mehr als 50 Container über Bord gehen, sollen es 675 Container pro Jahr sein. Ursache dafür sei aber in den meisten Fällen schlechtes Wetter, wie eine Umfrage der Organisation unter ihren Mitgliedern ergab. Zusammen kommen die Mitglieder des World Shipping Council auf über 90 Prozent des weltweiten Containerhandels.
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