Über die Unzeitgemäßheit der Müßiggangvernichtungskampagne

Zu Beginn des Lebens gibt es eine Zeit, in der ein Mensch, der "faul" ist, ruhig, schlafend, geschätzt wird. Die Eltern sind froh, wenn der sonst allzu laute, quengelige, quirlige Nachwuchs einfach gar nichts macht oder eben schläft. Doch diese Zeit ist schnell vorbei und damit beginnt jene Zeit, die sich bis zum Ende des Lebens hinzieht - die "Einfach nur sitzen"-Zeit, wie ich sie in Anlehnung an den Sketch von Loriot nenne.

meditation
© RIA Novosti
In diesem Sketch möchte ein Herr "einfach nur sitzen", doch die Ehefrau ist stetig bemüht, ihn dazu zu animieren, irgendetwas zu tun. Das "einfach nur sitzen" wird als verwerflich angesehen, es gilt, selbst in Zeiten der "Inaktivität" (auf die Erwerbstätigkeit bezogen) aktiv zu bleiben. "Willst du eine Illustrierte lesen? Willst du spazierengehen?..." Egal was getan wird, Hauptsache, es wird etwas getan.

Diese Zeit beginnt sehr früh - als Kind beäugen die Eltern einen sehr schnell misstrauisch, wenn man einfach nur dasitzt oder liegt. Ganz nach der loriotschen Art prasseln die Empfehlungen quasi stakkatoartig auf einen nieder.

Schon früh beginnt auch die Erwerbstätigkeit eine zentrale Rolle in dieser Müßiggangvernichtungskampagne zu spielen. Wer faul ist, findet keinen Job, der "wird nichts", hat nichts, ist nichts. Es gilt schon von Anfang an, das Leben auf eine möglichst ertragreiche Erwerbstätigkeit auszurichten. Selbst die Hobbies werden dieser Idee unterworfen und erst später, sollte das Hobby Geld generieren, wird ggf. eine Neujustierung der Bewertungs vorgenommen. Was einst ein "blödes Hobby war, mit dem man dauernd die Zeit vertrödelte", wird so zur "sinnvollen Tätigkeit", obgleich die Tätigkeit hier nicht einmal einem Wandel unterworfen war.

Hier zeigt sich bereits, dass die Sinnhaftigkeit nicht mehr darin besteht, dem Ausführenden ein gutes Gefühl zu vermitteln, ihn gar glücklich zu machen, sondern in der Erzielung möglichst hoher Renditen. Der Mensch, seine Bedürfnisse, Gefühle, Wünsche und Träume werden so schon ab der frühen Kindheit monetär bewertet, der Mensch insofern zur reinen Geldverdienmaschine degradiert.

"Wir investieren viel in die Bildung/die Talente unserer Kinder." Dieser Satz drückt deutlich aus, dass die Kinder letztendlich einer Entmenschlichung unterworfen werden, sie sind menschliche Roboter im Verwertungskreislauf. Der Begriff "Human Resources" ist insofern nicht zufällig gewählt und hat auch in deutschsprachigen Ländern schon den Begriff des Personals abgelöst.

Die Ironie des Schicksals ist, dass diese Ansicht bei vielen Menschen, die insofern ja letztendlich in Bezug auf Wünsche etc. unterdrückt werden, psychische und physische Probleme hervorrufen kann. Diese werden letztendlich wieder der Gesellschaft, die das Mantra "man muss was leisten, man kann nicht auf Kosten der Gesellschaft leben, ohne sich anzustrengen" einfach nachspricht, ohne dies einmal kritisch zu betrachten, Kosten verursachen. Die Frage wäre insofern auch, ob nicht die Förderung der individuellen Talente und Wünsche langfristig gesehen sogar vom volkswirtschaftlichen Standpunkt her günstiger käme als deren konsequente Einordnung in "kann was einbringen/kann nichts einbringen".

Bedenkt man, dass eine Vielzahl der technischen Utopien sich damit befassten, dass es für die Menschen durch Automation und technischem Fortschritt möglich werden würde, viel freie Zeit für sich zu haben und damit auch Zeit für die Familie, Hobbies und Selbstverwirklichung, so ist aus dieser Utopie eine Dystopie geworden. Diese besteht darin, dass zwar Automation und technischer Fortschritt vorhanden sind, doch fast schon zwanghaft danach gesucht wird, auch dem Letzten noch möglichst lang eine Erwerbstätigkeit in irgendeiner Form nicht nur zu ermöglichen, sondern ihm aufzuerlegen und dies sogar in zynischer Weise noch mit den Worten "die Menschen wollen doch alle arbeiten" als etwas zu verbrämen, was gewünscht wird.

Dabei wird von vielen weniger eine Arbeit um der Arbeit willen gewünscht. Es geht zum einen darum, ein finanzielles Auskommen zu haben, zum anderen aber auch um eine Akzeptanz seitens der Gesellschaft. Diese ist, wie anfangs geschrieben, schon von Anfang an darauf gepolt ist, sich über die Arbeit, wie die Erwerbstätigkeit lapidar beschrieben wird, zu definieren. Wie in P. Larkins bekanntem Gedicht This be the verse beschrieben, wird dies von den Eltern über die Kinder zur nächsten Generation weitergegeben.

Dabei wird, ähnlich wie den Hobbies schon erläutert, auch nicht bedacht, dass jeden Tag ja unentgeltlich Arbeit geleistet wird, die aber erst dann, wenn sie monetär bemessen werden kann, als solche angesehen wird. Einfach gesagt wird die Kindererziehung nicht als Arbeit angesehen, dennoch gibt es Menschen, die davon leben, diese Arbeit zu verrichten. Sie muss also insofern eine Tätigkeit darstellen, die eine gewisse Wertigkeit innehat. Gleiches gilt für die Haus- und Gartenarbeit, die an Wäschereien, Reinigungskräfte, Köche, Gärtner, Näherinnen, Raumgestalter, Dekorateure ... ausgelagert werden kann.

Es dürfte kaum Menschen geben, die nicht in irgendeiner Form Arbeit verrichten, egal ob nun als Hobby, als notwendige Alltagstätigkeit, Ehrenamt, Freiwilligentätigkeit. Doch dies wird bei der Gesamtbetrachtung ausgeklammert. Gleichzeitig wird die fehlende Bereitschaft, für die Gemeinschaft aktiv zu werden, bemängelt. Einer Gemeinschaft, die ihrerseits längst nur noch in romantisierenden Träumen existiert und sich zumindest zu einem großen Teil Zwängen unterworfen hat, die sie als alternativlos betrachtet.