Rauchen
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Zigaretten werden demnächst wieder einmal kräftig teurer. Aus aktuellem Anlass hier deshalb noch einmal ein Essay, den ich Anfang 2008 in der Welt am Sonntag schrieb und der an Aktualität leider nichts eingebüßt hat. Damals hatte ein Kneipenwirt in Rheinland-Pfalz vorerst erfolgreich gegen das Rauchverbot in Eckkneipen geklagt.

Das Qualmen wird über kurz oder lang absolut und überall verboten werden. Das ist, wie heftig und verzweifelt die Abwehrgefechte der Raucher auch noch sein mögen, so sicher wie das Amen in der Kirche. Denn das Rauchverbot ist ein Baustein in einer großen kulturellen Umkodierung, die in der gesamten westlichen (und mittelfristig der gesamten modernen) Welt im Gange ist, und gegen die Widerstand auf Dauer so zwecklos ist wie einst gegen die Christianisierung Europas.

In der schönen neuen Welt der rundum gesund und produktiv Lebenden und Denkenden darf es keine Schandflecke der Irrationalität und Versumpfung geben. War Rauchen einst Zeichen für Weltläufigkeit, Selbstbewusstsein und Lebensart, gilt es heute nur noch als Schwerverbrechen gegen die Gesundheit. Gegen die Gebote der Gesundheit zu verstoßen kommt heute einer ungeheuerlichen Gotteslästerung gleich. Das Rauchen in der Öffentlichkeit stellt dabei einen besonders schlimmen heidnischen Frevel dar, verstößt der Raucher doch bewusst und willentlich gegen ein Gebot, dessen Botschaft ihm, bereits allzu genau bekannt ist: Rauchen sei pures Gift für das eigene wie für das Wohlergehen aller anderen.

Soziologisch gesehen handelt es sich bei der Durchsetzung des Rauchverbots um die systematische Vertreibung der Unterschichten aus dem öffentlichen Raum. Denn Rauchen ist längst zu einem Erkennungszeichen der tatsächlich oder potenziell sozial Schwachen geworden - derer, die in dieser Gesellschaft nichts mehr werden wollen oder können. In den USA ist diese Entwicklung schon sehr viel weiter fortgeschritten als in Europa, doch wir holen tüchtig auf. Wer am Qualmen festhält, sich nicht zumindest bemüht, es aufzugeben oder es wenigstens nur schamhaft und mit schlechtem Gewissen betreibt, gilt als charakterlos und potenziell untauglich, einen konstruktiven Beitrag zur menschlichen Gemeinschaft zu leisten.

Die Unterschichten aber können und wollen nicht auf das Qualmen verzichten, denn es ist eines der kleinen Fluchten aus einer absoluten Gegenwart, die keinen Zweifel mehr daran aufkommen lassen will, dass sie die beste und einzig denkbare aller Gegenwarten ist. Rauchen, fettes Essen und übermäßiges Trinken aber sind solche kleine Alltagsfluchten aus dieser Diktatur des Unmittelbaren, der jederzeit Fitten und Verwendbaren, und deshalb werden diese unerwünschten Gewohnheiten von einer Allianz aus durchkommerzialisierten Aufstiegsmenschen und grünen Öko-Gesundheitsaposteln unbarmherzig verfolgt. (Beide Gruppen überschneiden sich dabei mittlerweile schon sehr weitgehend.)

Dieser Allianz kommt das gesundheitsschädliche Laster als Provokation vor - nicht so sehr der manifesten Schadstoffe wegen, die mit dem Rauch ausgestoßen werden, sondern weil damit ihre ganz auf die positive Einstellung zum real existierenden Dasein gerichtete Wirklichkeit, wie sie nun einmal ist und nicht anders sein darf, in Frage gestellt wird. Wer sich dieser Wirklichkeit per Raubbau an seiner Gesundheit verweigert, gilt als haltlos und somit als öffentliche Gefahr, könnte er andere doch mit sich in den Sumpf dieser Haltlosigkeit hinablocken.

Die als haltlos stigmatisierten Unterklassen passen somit nicht mehr in die schöne neue Welt der stets Aufgeweckten, stets Einsatz- und Aufstiegsbereiten, und müssen daher aus der Öffentlichkeit verschwinden. Dem Rauchverbot in Restaurants und Kneipen wird bald das Rauchverbot in Fußballstadien folgen - ein weiterer Meilenstein der Eroberung eines einstmals proletarisch dominierten öffentlichen Raums. Man wird aber auch nicht dulden, dass sich die Unterklassen-Raucher in eine Art Eckkneipen-Getto zurückziehen, wo niemand anders als sie verkehrt.

Denn in der schönen neuen Welt der rundum gesund und produktiv Lebenden und Denkenden darf es keine Gettos, keine Schandflecke der Irrationalität und Versumpfung geben, die die Erfolgreichen daran erinnern, dass auch ihnen einmal der Absturz ins Haltlose drohen könnte.

Der kleine Kneipenwirt aus Rheinland-Pfalz hat mit seinem kleinen Etappensieg für die Qualmerei somit nur schlafende Hunde geweckt. Dass, wie er klagt, dadurch die proletarischen Eckkneipen ruiniert werden, ist kein unerwünschter Nebeneffekt, sondern eine der eigentlichen kulturelle Zielsetzungen der strikten Nichtrauchergesetze.