Richterin: "Wenn keine kriminelle Organisation vorliegt, kann man sich auch nicht daran beteiligen" - Kritik an Soko-Führung

Wiener Neustadt - Dreizehn Freisprüche hat es am Montag nach 14 Prozessmonaten für die Tierschützer gegeben, die sich wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation am Landesgericht Wiener Neustadt verantworten mussten. Das Verfahren hatte mit Tumulten begonnen, weil die Urteilsverkündung in einen kleineren Saal verlegt und für die Zuseher per Videowall in den Schwurgerichtssaal übertragen wurde. Richterin Sonja Arleth stellte fest, dass es keine kriminelle Organisation gebe. Der Staatsanwalt gab keine Erklärung ab, das Urteil ist somit nicht rechtskräftig.

Die Beteiligung an einer kriminellen Organisation setze zumindest einen bedingten Vorsatz voraus, erklärte Arleth. Den habe es nicht gegeben. Für das Vorliegen der kriminellen Organisation sei eine unternehmensähnliche Verbindung mit hierarchischem Aufbau erforderlich, was nicht der Fall war, die Gruppen agierten basisdemokratisch. "Es konnte nicht erwiesen werden, dass das Fadinger-Forum eine Kommunikationsmöglichkeit für Mitglieder einer kriminellen Organisation ist." Es handle sich dabei um eine geschlossene E-Mail-Liste für Themen der Tierrechtsbewegung. Indizien für eine Doppelstrategie habe es nicht gegeben.

Keine Verbindung zwischen BaT und VgT

Eine Verbindung zwischen der BaT (Basisgruppe Tierrechte) und dem VgT (Verein gegen Tierfabriken) habe man nicht feststellen können. "Es belegen auch einzelne Telefonate, dass einige Leute von der BaT mit Leuten aus dem VgT nichts zu tun haben wollten", u.a. habe es starke Kritik an Martin Balluch - VgT-Obmann und Erstangeklagter - gegeben, erläuterte die Richterin. Bei der ALF (Animal Liberation Front) handle es sich nicht, wie von der Staatsanwaltschaft angenommen, um eine kriminelle Organisation, sondern um kleine anonyme Zellen, die ohne hierarchischen Aufbau handeln und auch Anschläge begehen. "Es mag zwar sein, dass einige der hier sitzenden Angeklagten mit dieser ALF sympathisieren, aber daraus allein zu schließen, dass sie deswegen in einer kriminellen Organisation, die es nicht gibt, Straftaten begehen, kann man nicht", stellte Arleth klar. Und generell: "Wenn keine kriminelle Organisation vorliegt, kann man sich auch nicht daran beteiligen."

Die Aussagen der verdeckten Ermittlerin "Danielle Durand" seien "völlig glaubwürdig und nachvollziehbar" gewesen. Harsche Kritik gab es an die Adresse des Soko-Leiters Erich Zwettler. Dass er vor Gericht ausgesagt habe, dass nach dem 1. Jänner 2008 keine verdeckte Ermittlung mehr stattgefunden habe, sei eine "schlichte Schutzbehauptung" gewesen, weil die Rechtsgrundlage für den Einsatz - nach Ansicht des Gerichts sei eine systematische Strukturermittlung vorgelegen, die einer Anordnung der Staatsanwaltschaft bedurft hätte - gefehlt habe. "Als alternativ konstruierte Realität kann man das wohl nicht mehr bezeichnen." Dies sei wohl auch der Grund gewesen, warum der Bericht nicht im Akt landete, mutmaßte Arleth.

Sprachgutachten "nicht nachvollziehbar"

Zum umstrittenen linguistischen Gutachter Wolfgang Schweiger meinte die Richterin, dass seine Expertise "unbestimmt und nicht nachvollziehbar" gewesen sei. Sie habe aber keine neue Sprachgutachten in Auftrag gegeben, weil das Verfassen von Bekennerschreiben allein nicht ausreichen würde, um eine kriminelle Organisation zu bilden.

Sämtliche andere Vorwürfe waren abgewiesen worden, weil sie durch Zeugenaussagen widerlegt oder nicht ausreichend bewiesen werden konnten. Abschließend meinte die Richterin, das Verfahren sei in ihrer bisherigen Berufslaufbahn die größte Herausforderung gewesen und sie wünsche sich, dass das Urteil rechtskräftig werde - ein Wunsch, den ihr Staatsanwalt Wolfgang Handler vorerst nicht erfüllen wollte - er gab keine Erklärung ab. Daraufhin wurde die Verhandlung geschlossen und Kamerateams stürmten den Saal, am Gang wurde gefeiert. (APA)