Nahost: Jerusalem behält rund 100 Millionen Dollar ein

Ramallah/Tel Aviv. Taisir Rimawi ist am Ende. "Ich habe mir 100 Schekel (20 Euro) borgen müssen, damit meine Kinder zur Schule und in die Uni fahren können", sagt der Vater einer elfköpfigen Familie. Selbst die älteren Töchter können dem 66-Jährigen finanziell nicht unter die Arme greifen. Ihr Arbeitgeber, die palästinensische Autonomiebehörde, zahlt wegen des israelischen Finanzboykotts keine Löhne und Gehälter mehr. "Das ist verheerend für die ganze Familie", sagt der ehemalige Sicherheitsoffizier. "Ich weiß nicht, was ich machen soll."

Fatale Auswirkungen

Israel hatte Anfang des Monats der Autonomiebehörde den Geldhahn zugedreht. Wegen der Versöhnung der beiden größten Palästinenserorganisationen - der Fatah des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas und der im Gazastreifen herrschenden radikal-islamischen Hamas - behielt Israel rund 100 Millionen Dollar aus Zöllen und Steuern ein, die eigentlich den Palästinensern zustehen. Israel begründete das unter anderem mit der Sorge, dass Geld in die Töpfe der Hamas fließen könnte, mit dem später Terror finanziert werde.

Die von Abbas geleitete Autonomiebehörde beschäftigt mehr als 140 000 Mitarbeiter im Gazastreifen und dem Westjordanland. Sie ist damit der größte Arbeitgeber. "Das Leben der meisten Menschen hängt auf die eine oder andere Art und Weise von diesem Geld ab. Selbst der private Sektor ist zum großen Teil darauf angewiesen, weil er Aufträge von Bürgern bekommt", beschreibt die palästinensische Tageszeitung "Al Quds" das Dilemma.

Umgerechnet rund 600 Euro im Monat verdient ein Lehrer bestenfalls im Westjordanland. Der Mindestlohn für Mitarbeiter der Autonomiebehörde beträgt in der Regel rund 300 Euro. Dennoch vergeben Banken heute großzügiger Kredite für eine Wohnung oder ein Auto. Die Rückzahlung samt Zinsen buchen die Kreditinstitute praktischerweise gleich von den Löhnen und Gehältern der Autonomiebehörde ab.

Jetzt ist die Aufregung groß. Viele Kreditnehmer können die Raten nicht bezahlen. Damit drohen Überziehungszinsen. Oder aber der Bürge wird zur Kasse gebeten. Nur stehen die meisten Bürgen ebenfalls auf der Lohnrolle der Autonomiebehörde.