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© Lucas Dolega/DPADas Internet ermöglichte erst die Massenproteste in Tunesien, die letztendlich zum Sturz Ben Alis führten.
Folter, Misshandlungen und willkürliche Verhaftungen dokumentiert der neue Bericht von Amnesty International - wie eigentlich in jedem Jahr. Doch es gibt Hoffnung: Durch das Internet kommen diese Verbrechen endlich ans Tageslicht.

Es ist ein wackeliges, unscharfes Bild, das zur besten Nachrichtenzeit über den Bildschirm flimmert. Gezeigt wird, wie ein Polizeitransporter mit hoher Geschwindigkeit durch eine Menschenmenge in Ägypten rast und mehrere Menschen mit sich reißt. Trotz der schlechten Qualität schockieren die Aufnahmen. Vor allem aber zeigen sie, wie die Anhänger des ehemaligen Machthabers Husni Mubaraks gegen die Demonstranten Anfang des Jahres vorgingen. Ohne Internet wäre das im Verborgenen geblieben.

Auch die Geschichte des jungen Tunesiers aus Sidi Bouzid, der sich aus Protest gegen das Regime Ben Alis im Dezember 2010 selbst in Brand setzte, zeigt die Macht des Internets. Die Nachricht von der entsetzlichen Tat verbreitete sich blitzschnell über Twitter, Tausende versahen ihre Facebook-Statusmeldungen und Twitterbeiträge mit "Sidibouzid". Wenig später ging die aufgebrachte Menge auf die Straße, um den verhassten Diktator zu stürzen.

"2010 wird möglicherweise als ein Jahr der Zeitenwende in die Geschichte der Menschrechte eingehen", schreibt Salil Shetty, internationaler Generalsekretär von Amnesty International im Vorwort des neuen Jahresreports. Das zeige sich vor allem in den nordafrikanischen Staaten, wie Libyen, Tunesien und Ägypten. Denn die Nutzung der neuen Medien, wie eben das Internet, würde die Mächtigen immer mehr unter Druck setzen, die Menschenrechte zu respektieren und einzuhalten.

Redefreiheit immer noch Luxus

Und das nicht nur in den arabischen Staaten: Die Enthüllungsplattform Wikileaks stellte 2010 Hunderttausende Dokumente ins Netz, darunter Berichte von hochrangigen Militärs, die die Lage in Afghanistan und den Irak beschreiben. "Die Dokumente lieferten wertvolle Bestätigungen für Menschenrechtsverletzungen, die aber von der afghanischen Regierung, der US-amerikanischen Regierung und seitens der Nato immer bestritten worden waren", schreibt Shetty. Zugleich warnt er aber davor, dass die neue Technologie "sowohl Chancen als auch Risiken" birgt. Grund zur Sorge war die Ankündigung der Taliban, die Berichte über den Afghanistan-Krieg ebenfalls zu prüfen. Alle darin vorkommenden Afghanen, die sich mit den westlichen Mächten verbündet haben, würden bestraft, so die Drohung. Wikileaks schwärzte seitdem fast jeden Namen in den Dokumenten.

Insgesamt dokumentiert Amnesty in dem Jahresbericht Einschränkungen der Meinungsfreiheit in 89 Staaten. "Redefreiheit ist immer noch ein Luxus", sagt Wolfgang Grenz, stellvertretender Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. In 98 Ländern wurde nach Angaben der Organisation gefoltert und misshandelt. Zugleich würden zwei Drittel der Menschen der Zugang zu fairen Gerichtsverfahren verwehrt bleiben.

China erhöht Druck auf Aktivisten

Ein besonderes Augenmerk legt der Jahresbericht auf die Volksrepublik China. So zeige der Fall Ai Weiweis, dass das "Reich der Mitte" immer noch schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begehe. Der weltweit bekannte Künstler wurde im April am Flughafen Peking festgenommen. Seitdem fehlt jede Spur von ihm. Wenn es möglich sei, so Grenz, eine solch bekannte Persönlichkeit einfach verschwinden zu lassen, dann möchte man gar nicht wissen, was mit den weniger bekannten passiere.

Insgesamt seien seit dem 19. Februar mehr als 100 Aktivisten in China festgenommen oder unter Hausarrest gestellt worden, berichtet Amnesty. Menschenrechtler, Umweltaktivisten, Schriftsteller und Bürger würden immer stärker daran gehindert werden, Missstände in China öffentlich zu machen. Das Internet kontrollieren die Machthabern dabei besonders stark: Zugang zu bekannten sozialen Netzwerken, wie Facebook, haben die Chinesen nicht.

Menschenrechtsverletzungen in Europa

Auch Europa wird stark kritisiert: "Unerträglich" seien die Abschottungstendenzen gegenüber der arabischen Welt, so der österreichische Generalsekretär von Amnesty International, Heinz Patzelt. Die Flüchtlinge aus Libyen oder Tunesien würden wie "Abschaum" behandelt. Vor allem Italien hat laut Jahresbericht Flüchtlingen den Zugang zu einem Asyl-Verfahren verweigert. Ob es sich um politisch Verfolgte handelte und ihnen damit Haft und Folter in ihren Heimatländern drohten, war egal. Mit dieser Haltung verstoße Italien eindeutig gegen internationales Flüchtlingsrecht. "Es darf keinen rechtsfreien Raum im Mittelmeer geben", fordert Grenz.

Auch der Bundesregierung wirft er im Umgang mit Flüchtlingen "Doppelzüngigkeit" vor. Denn mit der reinen Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen in der arabischen Welt sei es nicht getan. Deutschland müsse, wie auch die anderen europäischen Mitgliedsstaaten, Flüchtlinge aus der arabischen Welt aufnehmen. "Verschärfte Grenzkontrollen sind keine Lösung."