Hirnströme steuern Drohnen, Chemikalien erhöhen die Denkleistung, Hightech-Messgeräte lesen Gedanken: Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften wecken das Interesse des Militärs. Jetzt warnen britische Forscher vor den Folgen.

Bild
© UnbekanntMenschliches Gehirn: Neuro-Forschung für militärische Zwecke

Wer sich nicht selbst ausmalen kann, welche Technologien die Neurowissenschaften eines Tages hervorbringen könnte, muss nur eine Videothek besuchen. Schon 1982 steuerte Clint Eastwood im Actionfilm Firefox ein russisches Hightech-Kampfflugzeug mit Gedankenkraft. Auch in der Matrix-Trilogie ging es darum, wie man allein mit Hirnströmen ein fernes Abbild seines Selbst steuern kann. Hollywood-Regisseur James Cameron trieb das Motiv des gedankengelenkten Ersatzkörpers in Avatar 2009 filmtechnisch auf seinen vorläufigen Höhepunkt.

Die Leinwand-Phantasien haben einen sehr realen Hintergrund. Militärs versuchen seit Jahrzehnten, Erkenntnisse aus der Hirnforschung für kriegerische Zwecke einzusetzen. Die Pentagon-Forschungsabteilung Darpa etwa finanziert derartige Projekte spätestens seit Anfang der siebziger Jahre. Jetzt warnt Großbritanniens altehrwürdige Royal Society vor den Folgen: Zahlreiche Technologien aus der Hirnforschung könnten militärisch eingesetzt werden - und Wissenschaftler seien sich nur selten darüber im Klaren.

"Die Neurowissenschaft kann der Gesellschaft großen Nutzen bringen", sagte Rod Flower, Professor für biochemische Pharmakologie an der Londoner Queen Mary University und Leiter der Arbeitsgruppe der Royal Society. Forscher kämen effektiven Therapien für Leiden wie Parkinson, Depressionen, Schizophrenie, Epilepsie und Suchterkrankungen täglich näher. Aber das Verständnis von Gehirn und menschlichem Verhalten könnte, verbunden mit Entwicklungen in der Medikamentenforschung, auch die Herabsetzung der menschlichen Leistungsfähigkeit bewirken - "und möglicherweise in neuen Waffen verwendet werden", warnt Flower.

Vom Roboterarm zum Kampfjet?

In dem Bericht ist etwa davon die Rede, dass "in nicht zu ferner Zukunft" Drohnen oder andere Waffensysteme mit Gedanken gesteuert werden könnten. In den vergangenen Jahren sind Neuroforschern spektakuläre Erfolge gelungen. So ist es inzwischen möglich, Bilder aus Hirnsignalen zu destillieren; das Gleiche ist vor kurzem auch mit Geräuschen gelungen. Menschen können mit Hilfe von Computer-Hirn-Schnittstellen (Computer Brain Interfaces, kurz BCI) Roboterarme bewegen, wie von Geisterhand Texte auf Bildschirmen erscheinen lassen und sogar mit Gedankenkraft flippern.


Forschung dieser Art wurde immer wieder auch von Verteidigungsministerien oder Rüstungskonzernen zumindest mitfinanziert:
  • Ein Team von Miguel Nicolelis von der Duke University in Durham (US-Bundesstaat North Carolina) hat bereits mehrfach im Auftrag des Pentagon gearbeitet. 2007 etwa hat sich Nicolelis' Team ein System patentieren lassen, das sich explizit auch zur Gedankensteuerung von Waffen eignen soll.
  • Im Sommer 2008 hat die US-Armee vier Millionen Dollar an die University of California in Irvine ausgelobt, um die "synthetische Telepathie" zu erforschen. Zwar könne die Technologie auch Gelähmten helfen, hieß es. Doch im Vordergrund stand die Möglichkeit, Soldaten auf dem Schlachtfeld per BCI direkt von Hirn zu Hirn kommunizieren zu lassen.
  • Im gleichen Jahr haben die US-Streitkräfte ein Projekt zum Entziffern von Gedanken im menschlichen Gehirn unterstützt.
  • Ebenfalls im Sommer 2008 wurde bekannt, dass der US-Konzern Northrop Grumman an Ferngläsern arbeitet, die fortschrittliche Optik mit Hirnströmen kombiniert, um anhand unterbewusster Signale blitzschnelle Reaktionen zu ermöglichen.
Wie ernst die Militärs die BCI-Technologie wirklich nehmen, macht eine andere Episode noch deutlicher als die ehrgeizigsten Forschungsprojekte: Die unabhängige Wissenschaftlergruppe "Jason", ein renommiertes Beratergremium des Pentagon, warnte im März 2008 in einem Report unter anderem vor den potentiellen Gefahren eines BCI-Einsatzes durch feindliche Mächte.

Die Royal Society warnt zudem vor Chemikalien, die das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit und die Reaktionsgeschwindigkeit von Menschen beeinflussen könnten - sowohl positiv als auch negativ. Das aber dürfte immer nachteilige Wirkungen haben, wie die britischen Forscher betonen: Nach derzeitigem Kenntnisstand sei es auf absehbare Zeit unmöglich, Menschen mit einer Chemikalie außer Gefecht zu setzen, ohne dabei gesundheitliche Schäden zu riskieren.

Solche Entwicklungen zögen Unmengen an ethischen Fragen nach sich, erklärte Flower. In vielen Fällen seien diese noch nicht durch internationales Recht geregelt. Regierungen müssten die Forschung transparent halten. Wissenschaftler sollten sich stets im Klaren sein, dass ihre Forschung sowohl zur Heilung als auch zum Schaden eingesetzt werden könnte.

Wunsch nach "automatischem Soldaten"

An dem Bericht haben Neurowissenschaftler, Experten für internationale Sicherheit, Psychologen und Ethiker mitgearbeitet. Ihre Schlussfolgerungen aber werden offenbar nicht von allen Fachleuten geteilt. So heißt es in dem Report, dass das menschliche Gehirn Bilder, beispielsweise von Zielen, viel schneller verarbeiten könne, als dem Menschen bewusst werde: "Deshalb könnten Waffen mit neuronalen Schnittstellen in Sachen Geschwindigkeit und Präzision bedeutende Vorteile gegenüber anderen Steuerungsmethoden bieten."

Niels Birbaumer von der Universität Tübingen, einer der weltweit führenden Forscher auf dem Gebiet der Computer-Hirn-Schnittstellen, gibt sich skeptischer. "Bis das Gehirn einen Reiz verarbeitet hat, vergehen 50 bis 100 Millisekunden", erklärt Birbaumer. "Bis es eine komplizierte Reaktion eingeleitet hat, sind es 300 Millisekunden. Jeder Computer ist viel schneller."

Birbaumer sieht beim Militär den Wunsch nach dem "automatischen Soldaten" - egal, ob es sich dabei um einen per BCI oder Chemikalien beeinflussten Menschen handele, um eine fliegende Drohne oder einen per Gedankenkraft ferngesteuerten Roboter. Ob diese Vision aber jemals Realität wird, bezweifelt der Wissenschaftler. Das Problem sei die geringe Auflösung von Computer-Hirn-Schnittstellen. Wenn die Elektroden nicht direkt im Hirn stecken, sind die Ströme der Neuronen nur sehr grob messbar. "Es reicht derzeit gerade einmal dafür, einen Roboterarm ein Glas greifen zu lassen", sagt Birbaumer. "Aber für schnellere und spezifischere Reaktionen genügt das bei weitem nicht."


In dem Report der Royal Society wird beispielsweise eine Studie zitiert, in der US-Forscher Strom mit geringer Stärke auf die Gehirne von Probanden einwirken ließen. Die Teilnehmer seien anschließend in der Lage gewesen, Sprengfallen, Scharfschützen und andere versteckte Bedrohungen wesentlich besser zu entdecken als zuvor.

Doch auch hier mahnt Birbaumer zur Vorsicht. Offen sei etwa, wie lange der Effekt anhalte. Bei ähnlichen Experimenten sei auch schon beobachtet worden, dass sich die Wirkung nach längerer Zeit sogar ins Gegenteil verkehren könnte. Dass die Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft auch von Militärs verwendet werden, überrascht ihn nicht. "Alles, was funktioniert, wird auch militärisch eingesetzt", sagt Birbaumer. "Das war schon immer so. Wer sich das nicht klarmacht, ist blauäugig."