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© CorbisTelefonierender Geschäftsmann: Arbeitslose rufen seltener an
Wenn Menschen ihren Job verlieren, telefonieren sie plötzlich viel weniger. Das schließen Forscher aus der Analyse von Verbindungsdaten. Sie glauben, aus den Daten sogar die aktuelle Arbeitslosenquote einer Region berechnen zu können.

Der Verlust des Arbeitsplatzes kann Menschen hart treffen. Das ist kaum verwunderlich, schließlich bringt ein Job Geld. Doch nicht nur das: Viele definieren sich und ihr Leben auch über ihre Arbeit. Wie abrupt eine Entlassung das Leben verändert, zeigt eine Analyse von Telefonverbindungsdaten, die Forscher im Journal of the Royal Society Interface veröffentlicht haben.

Jameson Toole und seine Kollegen vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge hatten Handydaten einer Kleinstadt mit rund 15.000 Einwohnern über 15 Monate zwischen 2006 und 2007 ausgewertet. In diesem Zeitraum wurde in der Stadt die Fabrik eines Autoteileherstellers geschlossen, 1100 Menschen verloren ihre Arbeit. Um welche Stadt es genau ging, wollen die Forscher nicht preisgeben. Nur so viel: Sie befindet sich in einem europäischen Land.

Zu den analysierten Verbindungsdaten gehörten die Zahl der Anrufe je Anschluss, die angerufenen Nummern, die ankommenden Anrufe und die beim Telefonieren benutzte Funkzelle, welche den ungefähren Aufenthaltsort verrät. In der Stadt gibt es nur drei Funktürme, einer davon steht außerhalb, aber nahe der geschlossenen Fabrik. Fast 2000 Anschlüsse wurden ausgewertet, die regelmäßig in den Funkzellen der Stadt benutzt wurden.

Entlassene greifen seltener zum Handy

Die Schließung der Fabrik war in den Verbindungsdaten klar erkennbar: 143 der knapp 2000 Handynutzer tätigten ab diesem Tag keine Anrufe mehr aus der Funkzelle nahe der Fabrik. Bei ihnen dürfte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Entlassene handeln, erklärt Toole.

Die Entlassung hatte dramatische Auswirkungen auf das Telefonierverhalten der mutmaßlich Entlassenen: Insgesamt sank die Zahl der Telefonate bei ihnen um 51 Prozent. Dies betraf sowohl getätigte als auch entgegengenommene Anrufe. Betroffene hatten auch zu weniger Personen telefonischen Kontakt als vor der Fabrikschließung.

"Wir wissen nicht mit letzter Gewissheit, dass es sich bei den 143 Nutzern um Entlassene handelt", betont Toole. Die Datenanalyse zeige aber, dass sich das Verhalten der Nutzer exakt am Tag der Fabrikschließung geändert habe. Deshalb gehe man davon aus, dass es entlassene Arbeiter waren.

Weniger mobil, weniger Kontakte?

"Die Ergebnisse legen nahe, dass die sozialen Interaktionen signifikant zurückgehen und das Netzwerk weniger stabil ist, wenn jemand seine Arbeit verliert", schreiben die Forscher. Dieser Verlust sozialer Verbindungen könne die negativen Folgen der Arbeitslosigkeit noch verstärken.

Die Beobachtungen der Forscher überraschen zunächst, schließlich haben die Betroffenen ohne Arbeit erst einmal mehr Zeit. Warum sie diese nicht nutzen, um am Telefon soziale Kontakte zu pflegen, darüber können die Forscher nur spekulieren: Die Betroffenen könnten Geld sparen wollen, oder ihr Netzwerk hat sich womöglich verändert. Statt zu telefonieren, treffen sie ihre Freunde und Bekannten vielleicht auch persönlich.

"Leider können wir diese Hypothesen nicht überprüfen", sagt Toole. Dabei wäre es wichtig, genauer zu wissen, welche Folgen Entlassungen auf das soziale Leben und die Zufriedenheit der Menschen haben.

Arbeitslosigkeit berechnet

Die MIT-Forscher nutzten ihre Beobachtungen noch für eine zweite Untersuchung: Erlauben die Telefonverbindungsdaten einer Region Rückschlüsse auf die dortige Arbeitslosenquote?

Das Team um Jameson Toole analysierte dazu Daten aus einem zweiten, nicht näher bezeichneten europäischen Land. Der Datensatz umfasste zehn Millionen Anschlüsse über 36 Monate von 2006 bis 2009. In dem Land habe es in dem Zeitraum enorme wirtschaftliche Turbulenzen gegeben, schreiben die Forscher. Diese seien regional unterschiedlich groß gewesen.

In einem Rechenmodell verknüpften die Forscher die Verbindungsdaten mit den Arbeitslosenquoten auf regionaler Ebene. So hätten sie Änderungen der Beschäftigung präzise auf Basis von Telefondaten bestimmen können, berichten die Wissenschaftler.

Wie oft telefonierst du wo mit wem?

"Mit unserer Methode können wir die aktuelle Arbeitslosenquote zwei bis acht Wochen früher bestimmen als auf die übliche Weise", schreiben sie. Sogar Prognosen seien möglich - und zwar wesentlich genauer als mithilfe der offiziellen Statistiken. Diese Fähigkeit könne sowohl politischen Entscheidungsträgern als auch privaten Institutionen nützen.

Der Ansatz der MIT-Forscher, wichtige ökonomische Kennzahlen aus scheinbar nebensächlichen Daten abzuleiten, ist prinzipiell nicht neu. Wirtschaftsforscher vergleichen beispielsweise Chinas offizielle Verlautbarungen zum Wirtschaftswachstum immer wieder mit Zahlen zum Stromverbrauch in dem Land - und stellen dabei wiederholt Ungereimtheiten fest.