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© DPABombenanschlag 2001 in Köln: Wer hat die Bombe abgelegt?
War ein V-Mann des Verfassungsschutzes an einem Anschlag des NSU beteiligt? In Nordrhein-Westfalen keimt ein schlimmer Verdacht, nachdem ein brisantes Dokument aufgetaucht ist.

"Dienstliche Erklärung" stand über dem zweiseitigen Schreiben, das Mathilde Koller, die Leiterin des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, im Februar 2012 an den Generalbundesanwalt schickte. Ihr seien tags zuvor Phantombilder vorgelegt worden, die nach dem Sprengstoffanschlag auf ein Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse 2001 angefertigt worden seien.

"Eine Überprüfung relevanter Personen der örtlichen neonazistischen Szene hat ergeben, dass ein Mitglied der sogenannten Kameradschaft Walter Spangenberg aus Köln Ähnlichkeiten mit den Phantombildern aufweist", notierte Koller. Es handele sich um Johann H., genannt "Helle".

Wenige Tage später legte die Chefin des Düsseldorfer Dienstes nach: H. sei seit 1989 als V-Mann für das Landesamt für Verfassungsschutz tätig gewesen, musste sie nach Informationen von Spiegel Online den Ermittlern gegenüber einräumen. Auch die Welt am Sonntag berichtet darüber in ihrer aktuellen Ausgabe.

Die kriminelle Vergangenheit von H.

Was Koller der Bundesanwaltschaft gegenüber unerwähnt ließ, war die kriminelle Vergangenheit ihres Zuträgers. H. war 1985 wegen eines Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz verurteilt worden, wie aus einem Vermerk des Bundeskriminalamts (BKA) hervorgeht. Bezogen auf die Taten des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) notierte Koller lediglich: "Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung bestehen nicht."

Auch die Bundesanwaltschaft und das BKA schlossen sich dieser Auffassung an, nachdem sie Passfotos von H. den Opfern aus der Probsteigasse vorgelegt hatten. Die Anwältin der betroffenen Familie M., Edith Lunnebach aus Köln, machte das Oberlandesgericht München jedoch schon vor einiger Zeit darauf aufmerksam, dass ihre Mandanten auf einem anderen Foto H. als den Ableger der Bombe erkannt haben wollen. Tatsächlich weisen auch im Internet kursierende Bilder von H. eine frappierende Ähnlichkeit zwischen dem früheren V-Mann und dem Phantombild aus der Probsteigasse auf.

Sprengsatz in der Stollendose

Die Bundesanwaltschaft indes ist überzeugt, dass entweder Uwe Böhnhardt oder Uwe Mundlos zwischen dem 18. und 21. Dezember 2000 einen Korb mit einer weihnachtlich gestalteten Stollendose in dem Lebensmittelgeschäft von Djavad M. in Köln ablegten. Der Täter sagte demnach, er habe seine Geldbörse vergessen und komme gleich wieder, doch das tat er nicht. Der Korb wurde zur Aufbewahrung in einem Nebenraum des Ladens abgestellt.

Vier Wochen später, am 19. Januar 2001, hob die damals 19 Jahre alte Tochter des Geschäftsmannes aus Neugier den Deckel der Stollendose ein wenig an: Da detonierte der Sprengsatz, Mashia M. wurde schwer verletzt. Das Phantombild, das schließlich mithilfe von Djavad M. angefertigt wurde, wies allerdings keinerlei Ähnlichkeit mit Böhnhardt oder Mundlos auf. Legte also ein anderer Mann die Bombe in dem Geschäft ab? Brauchte es nicht ohnehin einen ortskundigen Täter, weil das Geschäft in der Probsteigasse von außen keinerlei Hinweise auf den Migrationshintergrund seines Besitzers erkennen ließ und auch nicht in einem Stadtteil lag, in dem überwiegend Ausländer lebten?

Der Sportschütze und ehemalige Soldat H., heute 48, gehörte über viele Jahre zur Führungsebene der rheinischen Neonazi-Szene. Nach Angaben von Verfassungsschutz-Chefin Koller hatte ihn der Dienst auf den "Hitler von Köln" genannten Neonazi-Kader Axel Reitz angesetzt, dessen Vertrauter H. tatsächlich wurde. Reitz, der seit geraumer Zeit in Koblenz vor Gericht steht, soll zudem Kontakte ins Umfeld des NSU unterhalten haben. Er selbst hat im WDR vor einiger Zeit noch bestritten, das Trio gekannt zu haben.

Ein Fall für den Untersuchungsausschuss

In Düsseldorf wird sich nun auch der Untersuchungsausschuss des Landtages intensiv mit Johann H. befassen. Das Gremium, um dessen Einsetzung lange gerungen worden war und das erst einmal den Rücktritt seiner Vorsitzenden verkraften musste, will den Extremisten womöglich selbst vorladen und befragen. Immerhin steht erstmals im NSU-Komplex der Verdacht im Raum, dass ein V-Mann des Verfassungsschutzes an einer der Taten unmittelbar beteiligt gewesen sein könnte. Im Bundestag hingegen war darauf verzichtet worden, Neonazis eine Bühne im Parlament zu geben.

Mit Spannung wird auch der Auftritt der ehemaligen Düsseldorfer Verfassungsschutz-Chefin erwartet. Koller war im Frühsommer 2012 aus "persönlichen Gründen" in den Ruhestand getreten. Seinerzeit hieß es aus dem Ministerium, es habe Verwerfungen zwischen ihr und dem damaligen Staatssekretär Hans-Ulrich Krüger (SPD) gegeben. Doch sicherlich wird ihr im Landtag noch einmal die Frage gestellt werden, ob ihr Rückzug nicht vielleicht doch mit den Vorgängen um Johann H. zu tun haben könnte.