Die traurige Tatsache ist schon länger bekannt: Patienten, die an Wochenenden oder Feiertagen in die Notaufnahme kommen, müssen mit einer spürbar schlechteren Versorgung rechnen. Aktuelle Untersuchungen belegen ein klar erhöhtes Todesrisiko. Höchste Zeit, dass hier etwas unternommen wird!

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Viele kennen die verteufelte Situation aus eigenem Erleben oder aber dem persönlichen Umfeld von Familie und Bekanntenkreis: Da ereignet sich ein medizinischer Notfall - und natürlich ist Wochenende, möglichst mitten in der Nacht. Nur nimmt das Schicksal darauf eben keine Rücksicht, aus dem unglücklichen Zufall wird schlimmstenfalls ein echtes Verhängnis. An Wochenenden und Feiertagen mangelt es häufig an medizinischer Versorgung, das ist schon recht lange allgemein bekannt.

Aktuell haben sich zwei Forscher der Problematik erneut angenommen und Ursachenforschung betrieben, um verlässliche Zahlen nennen und zudem die Hintergründe noch besser verstehen zu können. Prof. Richard J. Lilford und Dr. Yen-Fu Chen von der Universität Warwick sprechen vom »Wochenend-Effekt« und bestätigen ihn nicht nur für Großbritannien, sondern auch als Merkmal etlicher anderer »entwickelter Nationen und ihrer Gesundheitssysteme«.

Um dieses tragische, grenzüberschreitende Problem näher zu analysieren, zogen die beiden Mediziner insgesamt Daten von fast drei Millionen Krankenhausaufnahmen zwischen 2009 und 2012 heran, wobei sie auf 28 verschiedene Lehrkrankenhäuser in England, Australien, USA und den Niederlanden zurückgriffen.

Vor allem ging es Lilford und Chen um Todesfälle, die innerhalb von 30 Tagen nach Notaufnahme oder chirurgischen Eingriffen auftraten. Laut der Studie stieg dieses Risiko bei Notaufnahmen in 22 Kliniken an, wobei die britischen Krankenhäuser noch relativ »gut« davonkamen, mit einem rund acht Prozent erhöhten Risiko. In niederländischen Krankenhäusern sei demgegenüber das Risikosogar um 20 Prozent gestiegen.

Professor Lilford stellt fest: »Dies alles zu analysieren, ist eine extrem wichtige Arbeit, da der Anstieg mit ungefähr zehn Prozent im relativen Risiko und 0,4 Prozent in Prozentpunkten hoch ist. Er beläuft sich auf 160 zusätzliche Todesfälle in einer Klinik mit jährlich 40 000 Entlassungen.«

Auch erhöht sich die entsprechende Gefahr bei chirurgischen Eingriffen. An dieser beängstigenden Situation seien mehrere Faktoren schuld, am Ende aber läuft alles wie zu erwarten auf diverse Versorgungsengpässe und zeitliche Verzögerungen in Zeiten außerhalb der Wochentage hinaus. An Wochenenden seien in den Kliniken nicht nur weniger Kräfte im Einsatz, das Personal sei auch weniger erfahren, so betonen Lilford und Chen.

Außerdem gebe es Einschränkungen und Verzögerungen beim Zugang zu Testergebnissen. Patienten müssten länger warten, und das beeinflusse auch den Erfolg einer Behandlung negativ. Nur kann es wohl kaum angehen, dass ein Patient schwer geschädigt wird oder gar stirbt, nur weil er zum »falschen« Zeitpunkt in die Klinik kommt. Notfälle bleiben Notfälle, da kann niemand das Wochenende abwarten, um danach vielleicht besser versorgt zu sein.

In Großbritannien führt die Kopplung von Feiertagen mit Wochenenden oft zu verlängerten Auszeiten, sodass schon in früheren Studien von einem »kumulativen Effekt« die Rede war. Zwar sei kein Zusammenhang zu einer niedrigeren Personaldichte feststellbar gewesen, doch bei einer Gesamtzahl von 20 000 zwischen Januar 2008 und Dezember 2010 eingelieferten Patienten habe sich laut einer im Fachblatt Emergency Medicine Journal veröffentlichten Studie bei Notfällen an Feiertagen ein um 48 Prozent erhöhtes Todesrisiko innerhalb von sieben Tagen nach Einlieferung herausgestellt.

Selbst wenn die Aussage oft gerne heruntergespielt wird, bleibt die personelle Unterbesetzung an Wochenenden eine gefährliche Tatsache. Das bestätigen auch Fachleute wie der Gesundheitsexperte Michael Simon von der Hochschule Hannover. In vielen deutschen Kliniken herrscht von Freitag bis Sonntag weitgehend gähnende Leere. Nur noch Notbesetzung - doch Notfälle richten sich nicht nach dem Wochenplan.

Wer an einem Freitag unters Messer kommt, hat wiederum schlechtere Karten. Denn gerade während der auf einen chirurgischen Eingriff folgenden 48 besonders kritischen Stunden mangelt es an der nötigen Betreuung. Die postoperativ auftretende Sterblichkeit nimmt von Montag bis Freitag stet zu. Für OP-Termine erweist sich also der Wochenanfang als beste Zeit.

Einige Chefärzte sind bereit, sich offen über die insgesamt untragbare Situation zu äußern und verweisen auf das ganz allgemeine Hauptproblem: Personalmangel. Und der sei keineswegs nur an Wochenenden zu spüren. Zwei Drittel der Kosten in einem Krankenhaus aber resultierten aus Personalkosten, daher bemühten sich die Träger doch sehr darum, diese Ausgaben tunlichst zu minimieren. Personalknappheit vorprogrammiert.

Die Gewerkschaft ver.di. führte im Frühjahr 2015 eine umfangreiche und bemerkenswerte Untersuchung durch: In 238 Kliniken wurden Fachkräfte während der Nachtschicht befragt. Das Ergebnis: schlichtweg erschreckend. Auf 55 Prozent der Stationen fallen die eigentlich erforderlichen Leistungen zeitweilig oder sogar gewohnheitsgemäß einfach weg - aus bekanntem Grund.

Beinahe 60 Prozent der befragten Pflegekräfte bestätigten für einen einmonatigen Zeitraum auch bedrohliche Situationen bei Patienten. Jeweils Fälle, die bereits bei leicht erhöhtem Personalbestand nicht eingetreten wären, so erklärte das direkt beteiligte Personal unter Bedingung der Anonymität.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft zielte laut dem TV-Magazin Plusminus, Sendung vom 27. Mai 2015, darauf ab, die Umfrage zu verhindern. Letztlich geht es überall ums Geld. Dabei sei eigentlich genügend vorhanden, um alle zu versorgen. Nur werde es leider nicht an den richtigen Stellen eingesetzt. Gespart werde dort, wo es letztlich doch am leichtesten sei: eben an den Arbeitskräften.


Eine Katastrophe für das verbleibende, zwangsläufig völlig überlastete Personal. Und natürlich eine Katastrophe für die Patienten. Mit Blick auf die dünne Personaldecke, die entsprechende Belastung und die aus alledem resultierenden Krankmeldungen und Kündigungen resümierte auch der Berliner Chirurg Professor Ludger Bolle: »Und deswegen glaube ich, dass wir am Ende einer Entwicklung sind. Das kann nicht so weitergehen!«