Jeden zweiten Tag wird in Deutschland ein Kind umgebracht: Die Zahl der Fälle ist 2010 um gut zwanzig Prozent gestiegen, die der Misshandlungen nahm um sieben Prozent zu. Hilfsorganisationen fordern nun einen neuen Anlauf für ein Kinderschutzgesetz.

Kindstötungen
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Berlin - Es ist eine erschreckende Bilanz: Die körperliche Misshandlung und Tötung von Kindern in Deutschland hat zugenommen. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 183 Mädchen und Jungen unter 14 Jahren getötet, 2009 waren es noch 152, wie der Bund Deutscher Kriminalbeamter und die Deutsche Kinderhilfe am Freitag in Berlin auf Grundlage einer Auswertung der Kriminalstatistik 2010 mitteilten.

Die Zahl der Kindstötungen erhöhte sich damit im vergangenen Jahr um 29 Fälle, also 20,4 Prozent. 129 der getöteten Kinder waren demnach noch keine sechs Jahre alt, 2009 waren 123 Babys und Kleinkinder umgebracht worden

Auch die in der Kriminalstatistik erfassten Fälle körperlicher Misshandlung nahmen der Auswertung zufolge 2010 weiter zu - sie stiegen um sieben Prozent. Nach einer Abnahme in den Vorjahren erhöhte sich zudem die Zahl der Opfer sexueller Gewalt wieder, hier gab es einen Anstieg um 2,7 Prozent auf 14.696 registrierte Missbrauchsfälle.

Der Präsident des Bundeskriminalamtes ( BKA), Jörg Ziercke, sagte, die Tatsache, dass in Deutschland "jeden zweiten Tag ein Kind Opfer eines Tötungsdeliktes wird und die Zahl der Misshandlungen von Kindern angestiegen ist, muss uns mehr als nachdenklich stimmen". Er forderte die Bürger auf, Gewalthandlungen gegen Kinder konsequent anzuzeigen.

Neuer Anlauf für das 2009 gescheiterte Kinderschutzgesetz

Die Deutsche Kinderhilfe forderte zusammen mit dem Bund Deutscher Kriminalbeamter und der Opferschutzorganisation Weißer Ring die Politik auf, den Schutz von Kindern wieder zu einem politischen Schwerpunkt zu machen. Die aktuellen Zahlen seien dramatisch und sollten allen Beteiligten verdeutlichen, dass es ein "Weiter so" nicht geben dürfe, erklärten die drei Organisationen.

Der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann, forderte einen neuen Anlauf für das 2009 gescheiterte Kinderschutzgesetz. Da die 600 Jugendämter in Deutschland unterschiedlich arbeiten und ihre finanzielle Ausstattung von der Kassenlage der jeweiligen Kommune abhänge, würden die Überlebenschancen eines Kindes nach wie vor davon abhängen, wo es in Deutschland zur Welt kommt.

Mit dem Kinderschutzgesetz soll unter anderem die Tätigkeit einschlägig Vorbestrafter in der Kinder- und Jugendhilfe verhindert werden. Alle hauptberuflichen Mitarbeiter in der öffentlichen und freien Jugendhilfe sollen ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen. Außerdem wird in dem Gesetz Klarheit darüber geschaffen, inwieweit Berufsgeheimnisträger wie Ärzte die Behörden über die Gefährdung eines Kindes informieren sollen.

Jugendämter müssen sich künftig intensiver kümmern

Ein erster Schritt, damit Jugendämter sich künftig besser um gefährdete Kinder kümmern, wurde am Freitag bereits vollzogen: Der Bundesrat billigte die vom Bundestag beschlossene Reform des Vormundschaftsrechts, wonach ein Amtsvormund künftig maximal 50 Fälle betreuen soll. Außerdem muss der Vormund sein Mündel in der Regel einmal im Monat in seinem persönlichen Umfeld besuchen.

Der Vormund wird durch das neue Gesetz verpflichtet, die Kinder persönlich zu fördern und ihre Erziehung zu gewährleisten. "Ohne persönlichen Kontakt kann der Schutz der Vormundschaft nicht greifen", erklärte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ( FDP). Einblicke in das Umfeld seien unverzichtbar, um Gefahren frühzeitig zu erkennen und abzuwenden. In der Praxis müsse ein Amtsvormund oft 120 Kinder gleichzeitig im Blick haben.

Die schwarz-gelbe Koalition hatte mit der Neuregelung die Konsequenzen aus Fällen wie dem des zweijährigen Kevin gezogen, dessen Leiche 2006 im Kühlschrank seines Stiefvaters gefunden worden war. Der zuständige Amtsvormund hatte damals über 200 Kinder gleichzeitig zu betreuen.

Außerdem stimmte der Bundesrat in einer Stellungnahme grundsätzlich auch dem Entwurf für das Bundeskinderschutzgesetz zu. In einigen Detailfragen mahnte er Änderungen am Gesetzentwurf an, zu denen die Bundesregierung einer Mitteilung des Bundesfamilienministerium zufolge im Juni Stellung nehmen will. Danach wird das Bundeskinderschutzgesetz im Bundestag beraten und abschließend nochmals dem Bundesrat vorgelegt. Das Gesetz soll nach dem Willen des Ministeriums am 1. Januar 2012 in Kraft treten.