Ein Erdbeben mit einer Stärke von 5,7 kann furchtbare Konsequenzen haben. Aber manchmal passiert es, dass keiner ein solches Beben bemerkt. Das Phänomen der „stillen Erdbeben“ ist noch weitgehend unerforscht. Die Wissenschaftler beginnen gerade, es zu verstehen.
  • „Stille Erdbeben“ treten immer wieder und überall auf - auch in Deutschland.
  • Im Gegensatz zu anderen Erdbeben entlädt sich im Falle eines stillen Bebens die Spannung langsam und die Verschiebung der Platte dauert Tage bis Monate.
  • An der Bruchkante kann es zu einer erhöhten Spannung kommen, die sich in einer verheerenden Katastrophe entlädt.
Earthquake
Anfang November 2000 bebte der Untergrund der Insel Hawaii. Seismologen stellten ein Beben der Stärke 5,7 fest, einzig die Bewohner hatten keine Ahnung. Weder Boden, Wände noch Tassen gerieten in Schwingung. Dabei bewegte sich unter der Erde eine tektonische Platte etwa in der Größe Berlins.

Das Beben auf Hawaii konnten Seismologen nur dank hochempfindlicher Instrumente feststellen. Was die Geräte zeigten, schien unglaublich: Die Südflanke des Vulkans hatte sich entlang einer Verwerfung um ganze zehn Zentimeter verschoben. Gleichzeitig hatte diese Bewegung gut eineinhalb Tage gedauert - eigentlich zu lang für ein Erdbeben, das die geladene Spannung innerhalb von Sekunden abgibt und so den Boden zum Beben bringt.

Es handelte sich um ein sogenanntes „stilles Erdbeben“. Das sind Beben, die deutlich langsamer verlaufen. Wie diese Beben entstehen ist nicht bekannt. Bei Bohrungen entdeckten Geologen die Mineralien Saponit und Talk. Zusammen mit Wasser könnten diese Bestandteile wie Schmiermittel wirken. Hinzu kommt extreme Hitze und großer Druck in der Tiefe der möglicherweise ebenfalls dafür sorgen könnte, dass das Gestein sich bewegt.

Neun Beben vor Fukushima

Japanische Forscher haben diese „stillen Erdbeben“ nun genauer untersucht um festzustellen wie es zu dem Tsunami auf Fukushima kam. Wie die Forscher in „Nature Communications“ berichten hatte es vor Fukushima mindestens neun Jahre lang „stille Beben“ gegeben bevor das Gestein am 11. März 2011 unter der Spannung zerbrach.

Die „stillen Beben“ schoben sich in einem vergleichsweise schnellen Tempo voran. Sie setzen dabei so viel Energie frei wie ein Erdbeben der Stärke sieben. „Diese Deformation steigerte den Druck in der Quellregion und schlussendlich kam es zu einem Starkbeben“, sagte der Co-Autor der Studie Kazuki Koketsu dem Fachmagazin Phys.org.

Das Phänomen ist ganz neu

Die Folgen eines Erdbebens und eines „stillen Erdbebens“ sind sehr ähnlich, erklärt Nicolai Gestermann von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Denn bei jedem Erdbeben entsteht an der Bruchzone erneut Spannung, die sich irgendwann entladen muss.

Genau diese Spannung kann verheerende Folgen haben, Fukushima ist nur ein Beispiel. Neben Tsunamis können „stille Beben“ gewaltige Starkbeben nach sich ziehen - oder ihre Spannung aufteilen und so eine Region entlasten. „Die Forschung ist noch ganz am Anfang, es beginnt grade, dass wir das Phänomen langsam verstehen“, sagt Gestermann zu FOCUS Online.

Es gab auch schon Beben in Deutschland, aber nur sehr kleine

Besonders häufig kommen „stille Erdbeben“ an der St. Andreas Verwerfung in Kalifornien vor. Dort trifft die pazifische auf die nordamerikanische Platte. Es heißt, dass in den 1960er-Jahren Arbeiter einen knapp über zehn Jahre alten Abwasserkanal zerrissen vorgefunden hatten. Die beiden Seiten des Kanals waren um 30 Zentimeter versetzt. Ein Erdbeben hatte damals niemand vermutet, da es völlig ruhig gewesen war.

Auch in Deutschland kann es „stille Erdbeben“ geben, besonders im kleinskaligen Bereich. Erdbeben mit einer Stärke von Eins kamen schon vor, sagt Stefanie Donner vom Erdbebendienst Bayern zu FOCUS Online.

Der Begriff der „stillen Erdbeben“ ist jedoch verwirrend gewählt findet Nicolai Gestermann. So erzeuge jedes Erdbeben Geräusche. Bei den „stillen Erdbeben“ sei es nur viel schwerer festzustellen, woher so ein Signal kommt und warum.

Hoffnung in neues Forschungsprojekt vor Neuseeland

„Jedes Beben, egal ob still oder nicht, hängt von mehreren Parametern ab, die zutreffen müssen. Da Geologen bisher nicht in die Spannungskante reinschauen können, bleibt fraglich warum es dazu kommt“, erklärt Gestermann.

Neuere Erkenntnisse erhoffen sich Forscher von einem Anfang Juli genehmigten Projekt. Vor der Nordostküste Neuseelands wollen Wissenschaftler tiefe Löcher unter Wasser bohren und dort Sensoren verankern. Das Projekt soll die Beben im Abschnitt der Gisborne Küste aufzeichnen und erklären.

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