Notenbank-Bericht sorgt für Unruhe in Peking: Es geht um Milliardensummen, die fast 20.000 korrupte Beamte seit den 1990er-Jahren außer Landes schafften. Die Chinesen zog es vor allem in die USA und nach Kanada.

Bestechung China
© Reuters (Stringer Shanghai)
Peking/Ag/Red. Der größte Feind des realen Sozialismus ist nicht der Kapitalismus, sondern die Korruption. Sie zu bekämpfen sei „schwer“ und „sehr mühsam“, erklärte Premier Wen Jiabao im März. Wie groß das Problem tatsächlich ist, wurde aber erst jetzt bekannt: Chinesische Beamte haben in den vergangenen 15 Jahren 123 Milliarden Dollar (87 Milliarden Euro) an Bestechungsgeldern kassiert. Und das ist nur der Teil, der außer Landes geschafft wurde. Die tatsächliche Summe, die für Bestechungen bezahlt wurde, dürfte weitaus höher liegen.

Die Zahl stammt aus einem 67 Seiten umfassenden Bericht der chinesischen Notenbank, der diese Woche veröffentlicht wurde und für Aufregung in Peking sorgt. Mittlerweile wurde die Untersuchung wieder von der Webseite der Bank genommen, doch mehrere Medien, darunter die „Financial Times“ (FT) und das „Wall Street Journal“ (WSJ), konnten Kopien sichern und übersetzen.

„Zug von Ameisen“ mit Geldkoffern

Laut der Untersuchung sind seit Mitte der 1990er-Jahre bis 2008 etwa 18.000 Beamte aus dem Land verschwunden, weil sie offenbar genug Geld durch Bestechung kassiert hatten. Ein Großteil habe sich ins Ausland abgesetzt, einige seien auch in China untergetaucht.

Besonders beliebt bei korrupten Beamten sind die USA, Kanada, Australien und die Niederlande. Dorthin seien vor allem hochrangige Beamte ausgesiedelt. Niederrangige Beamte, die vermutlich nicht so viel Geld kassieren konnten, mussten sich dem Bericht zufolge mit chinesischen Nachbarländern begnügen, darunter Thailand, Malaysia oder auch Russland.

Mit sich nahmen sie 123 Milliarden Dollar, die sie in einem Zeitraum von etwa 15Jahren kassiert hätten, schreiben die Studienautoren. Welche Summen für die Bestechung von Beamten in China in diesem Zeitraum insgesamt bezahlt wurden, ist in dem Bericht nicht erhoben.

In einem „juicier“ zweiten Teil, wie es das WSJ nennt, sind konkrete Beispiele aufgelistet, mit welchen Methoden Beamte das Geld außer Landes schafften. Xu Fangming, ein ehemaliger Angestellter des Finanzministeriums, überwies beispielsweise 100.000 Euro auf das Konto seines Sohnes im Ausland; Cheng Kejie, ein hochrangiger Politiker der Volksrepublik, ließ seine Geliebte nach Hongkong übersiedeln, wo sie ein Konto für seine Bestechungsgelder führte.

Der ehemalige Parteichef von Haimen, Zhang Jian, entwickelte eine rege Reisetätigkeit: Er flog 48 Mal nach Macao. Über ein Spielcasino „wusch“ er fast zwei Millionen Euro, die er über die Jahre kassiert hatte.

Tausende chinesische Beamte reisten zu Fuß von Shenzhen nach Hongkong. Die Stadt ist nur durch einen Fluss von der Sonderverwaltungszone entfernt, die bis 1997 zu Großbritannien gehörte. Die Reisen der Beamten mit vollen Geldkoffern verglichen die Autoren mit dem „Zug von Ameisen“.

Korruption ist in China ein immer größer werdendes Problem. Erst 2010 erließ die Kommunistische Partei einen Moralkodex für ihre 70 Millionen Mitglieder, in dem in 52Regeln festgehalten ist, was man tun darf und was nicht. Unter anderem wird darin erklärt, dass man Verwandten und Freunden keine Vorteile verschaffen dürfe, auch wenn es dafür keine Gegenleistung gibt.

Verfahren gegen 146.000 Beamte

Im vergangenen Jahr gab es gegen 146.000 Beamte ein Disziplinarverfahren (nicht nur wegen Korruption, sondern wegen verschiedenster Vergehen), 5373 wurden angeklagt.

Premier Wen sprach bei einem Auftritt im März offen davon, dass „einige Bereiche unseres Landes anfällig sind für Korruption“. Als eine Folge müssen hochrangige Beamte ihre Vermögens- und Einkommensverhältnisse offenlegen.

Dass der Korruptionsbericht überhaupt bekannt wurde, dürfte mit Eitelkeit zu tun haben: Die Studie erhielt einen Preis der „China Society for Finance and Banking“, weil sie so gut recherchiert war. Deshalb wurde der Bericht auch veröffentlicht, bevor ihn die Notenbank wieder in der Versenkung verschwinden ließ.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2011)