Bezahlen in Zukunft: Banken testen Karten, die auf Berührung reagieren, Google setzt auf das Handy, und die Sparkasse hat große Pläne.

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© Douglas Mudd/Diners Club Deutschland
Bier für 2,50 Euro statt 2,80 Euro - wenn am heutigen Sonntag in Scheeßel, einer Kleinstadt zwischen Hamburg und Bremen, Bands mit Namen wie Arctic Monkeys und Foo Fighters auf einem der größten Musikfestivals in Deutschland spielen, gibt es den Becher günstiger. Allerdings nur für jene unter den 70.000 erwarteten Besuchern, die ihre Hurricane-Festival-Karte im Scheckkartenformat an das Lesegerät am Getränkestand halten. Zuvor müssen die Musikfans natürlich einen ausreichenden Geldbetrag draufladen.

Es ist der jüngste Versuch der Banken, den Deutschen das Bargeld abzugewöhnen. Trotz EC-Karten, Kreditkarten und Geldkarten begleichen die Menschen immer noch 60 Prozent ihrer Einkäufe an der Supermarktkasse oder Tankstelle mit Münzen und Scheinen. 118 Euro trägt jeder laut Bundesbank-Statistik im Schnitt bar mit sich herum, davon 6,70 Euro in Münzen. Summen, an denen die Banken fast nichts verdienen.

Den Kampf um das Portemonnaie führt die Finanzbranche aber längst nicht mehr allein. Andere Spieler drängen auf den Markt und wollen den Banken die Hoheit über den Zahlungsverkehr entreißen. Es sind Internetfirmen wie Google und Telefonkonzerne wie Deutsche Telekom. Mit digitalen Geldbörsen, bei denen Kunden schnell und unkompliziert per Mobiltelefon ihre Einkäufe bezahlen, wollen sie nicht nur das Bargeld überflüssig machen, sondern auch gleich noch alle EC- und Kreditkarten.

Bezahlen mit dem Handy

Science-Fiction? Keineswegs. Der Internetgigant Google hat gerade sein mobiles Bezahlsystem Google Wallet präsentiert. Der Kunde braucht kein Stück Plastik mehr, er muss sein Smartphone nur vor ein kleines Terminal halten - schon ist bezahlt. Getestet wird dies in New York und San Francisco. Noch ist Google dafür auf das Kreditkartenunternehmen MasterCard und die Citibank als Partner angewiesen.

Doch das könnte sich ändern. „In zehn Jahren könnte das Smartphone unser aller Bank sein“, sagt Thomas Sontheimer, Partner bei dem Beratungsunternehmen Accenture. Warum, so fragt der Zahlungsexperte, sollten sich kommende Generationen ihr Gehalt nicht auf ein Google-Konto überweisen lassen? Die notwendige Banklizenz sei nicht so schwer zu bekommen.

Bei den Kreditinstituten wird die Gefahr gern heruntergespielt. „Wir sind gut aufgestellt und haben eine klare Strategie“, sagt Wolfgang Adamiok, zuständig für Zahlungsverkehr und Kartenstrategie beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV), der Interessenvertretung der 428 Sparkassen im Land. Nur die Banken verfügten über jahrzehntelang erprobte Strukturen für den Geldverkehr, nur sie könnten die auch von jungen Kunden gewünschte Sicherheit und Zuverlässigkeit bieten. Doch verlassen will sich die Branche darauf nicht. „Wir sind nicht blauäugig, deshalb gehen wir jetzt mit neuer Technik voran“, sagt der Sparkassen-Vertreter.

Sparkassen testen neue Bankkarte

Ab Ende des Jahres erhält knapp eine Million Sparkassen-Kunden in der Region um Hannover, Braunschweig und Wolfsburg neue Bankkarten mit eingebauter Antenne. Wie schon beim Musikfestival in Scheeßel oder in den Fußballstadien von Bayer Leverkusen und ab kommender Saison auch von Mainz 05 sollen die Karten schnell und bequem den kontaktlosen Einkauf ermöglichen.

Die Plastikteile müssen nirgends mehr eingeschoben werden, es reicht, sie wenige Zentimeter vor dem Kassenterminal im Supermarkt oder an der Tankstelle zu halten. „Bis zu einem Betrag von 20 Euro wird der Kunde keine PIN eingeben müssen“, so Adamiok zum größten Feldversuch der Kreditwirtschaft. Dazu muss sie wie die herkömmliche Geldkarte immer wieder aufgeladen werden - immerhin soll es wie bei einem Prepaidhandy eine Art Aboservice dafür geben.

Auch Genossenschaftsbanken und einzelne Privatbanken sollen in den nächsten Monaten bis zu 100.000 der neuen EC-Karten verteilen. Ein Zurück gibt es zumindest aus Sicht der Sparkassen nicht mehr. In den nächsten vier Jahren wollen sie bundesweit alle Karten austauschen. „Spätestens bis Ende 2015 hat jeder Sparkassen-Kunde eine Karte, die kontaktlos funktioniert“, sagt Adamiok.

Eigentlich spielt es keine Rolle, ob der Chip in eine Karte eingeschweißt ist, in einem Schlüsselanhänger steckt, in der Armbanduhr oder eben im Mobiltelefon. In jedem Fall soll er schneller, günstiger und sicherer Zahlungen abwickeln können als bislang schon mögliche Handy-Bezahlverfahren. Near Field Communication, kurz NFC, heißt das Zauberwort, auf das alle setzen.

Kontaktloser Austausch

Diese Technik ist der Übertragungsstandard für den kontaktlosen Austausch von Daten. Bis zu einer Distanz von 40 Zentimetern können Geräte, beispielsweise Ladenkasse und Mobiltelefon, darüber kommunizieren. Auch aus Sicht der Sparkassen ist die kontaktlose Karte mit der NFC-Technik womöglich nur eine Zwischenlösung.

„Wir gehen davon aus, dass spätestens ab 2014 Sparkassen-Kunden per Handy zahlen können“, sagt Adamiok. Bei entsprechender Nachfrage könne es auch früher sein. Ein Engpassfaktor: die geeigneten Smartphones. Bislang ist mit dem Nexus von Google erst ein Gerät mit der NFC-Technik ausgestattet. Andere Hersteller haben den Einbau aber bereits angekündigt.

Die größte Herausforderung ist allerdings nicht die Technik, sondern der Kunde. Geht es um das Thema Geld, mögen viele Deutsche keine Spielereien. Laut einer Bundesbank-Studie kam zuletzt schon der Vormarsch der herkömmlichen Karte ins Stocken. Der Sprung über die 40-Prozent-Grenze will nicht gelingen. „Der Bargeldanteil ist hierzulande im internationalen Vergleich hoch, weil Deutschland sehr spät auf das Thema der Karte gekommen ist“, sagt Horst Rüter, Zahlungsexperte beim Einzelhandelsforschungsinstitut EHI.

Kreditkarte hat sich eingebürgert

In anderen Ländern habe sich seit den 50er-Jahren die Kreditkarte eingebürgert. „Dadurch hat eine Gewöhnung an die Karte eingesetzt.“ Vielen Deutschen dagegen blieb das Plastikgeld über Jahrzehnte weitgehend fremd. Die EC-Karte war es, die dies ab den 90er-Jahren änderte. Erst als Aldi die Karte im Jahr 2005 akzeptierte, war das Plastikgeld wirklich in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen. Menschen in Asien kennen dagegen seit Jahren schon die nächste Kartengeneration, die kontaktlose Variante, jeder hat sie bei sich. Ohne sie kommt niemand durch die Drehkreuze an den Eingängen zu den U-Bahn-Netzen der Millionenstädte.

Mit Münzen und Scheinen lässt sich dagegen aus Sicht vieler Deutscher schneller und anonymer zahlen. Das Thema Sicherheit ist von zentraler Bedeutung. Bei der neuen Generation von kontaktlosen EC-Karten sieht Norbert Pohlmann kaum Gefahren. „Da gibt es genügend gute und sichere Standards“, sagt der Professor für Internetsicherheit an der Fachhochschule Gelsenkirchen, der sich mit neuen Bezahlmethoden beschäftigt.

Dass plötzlich ein Unbefugter Geld von der Karte zieht - mal so im Vorbeilaufen - , sei nicht zu befürchten. Der notwendige Abstand kann schließlich auf ganz wenige Zentimeter verkürzt werden. Skeptischer ist er beim Bezahlen mit dem Handy. „Wenn die Bezahlsysteme rein auf Software laufen, sind sie anfällig für Hacker-Angriffe“, sagt Pohlmann. Gemeint sind die kleinen Miniprogramme, neudeutsch Apps, auf den Smartphones, wie sie auch Google für sein Wallet nutzt. Der Experte plädiert dafür, die Bezahlfunktion in die SIM-Karte des Telefons einzubauen, wo sie vor Angriffen besser geschützt wäre.

Sicherheit wird zum Hemmschuh

Das Thema Sicherheit könnte sich auch noch unter einem anderen Aspekt als Hemmschuh erweisen. Denn Internetunternehmen verbergen nicht, auf was sie es bei ihrem Vorstoß an der Ladenkasse abgesehen haben: auf die Profile der Kunden. „Wer was wann wo gekauft hat, sind wichtigere Informationen, als wer was wann wo gesucht hat“, sagt Sontheimer von Accenture. Mit diesen Daten können Unternehmen gezielter für ihre Produkte werben, solche Kundenprofile lassen sich gut verkaufen.

Das muss allerdings kein K.-o.-Kriterium sein, sondern kann letztlich auch das einzige Argument dafür sein, dass sich überhaupt etwas verändert. „In entwickelten Märkten brauchen sie eigentlich kein Bezahlverfahren via Mobiltelefon“, sagt Key Pousttchi, Leiter der Forschungsgruppe Wi-Mobile der Universität Augsburg. Er befasst sich bereits seit zehn Jahren mit dem Thema. Es gebe schließlich bewährte Zahlungsverfahren.

„Die Anbieter müssen gute Gründe schaffen, warum Kunden und Händler ein solches Verfahren nutzen sollen“, so Pousttchi. Günstigeres Bier, wie beim Hurricane-Festival, meint er damit nicht. Er denkt eher an Gutscheine, die beim nächsten Einkauf sofort elektronisch verrechnet werden, oder an das Parkticket, das vom Händler längst bezahlt ist, wenn der Kunde das Parkhaus wieder verlassen will.

Lesegeräte für Tap & Go

Damit diese Vision Wirklichkeit wird, muss allerdings nicht nur der Kunde, sondern auch noch der Handel mitspielen. So bieten die beiden großen Kreditkartenanbieter MasterCard und Visa schon seit längerem das „Zahlen im Vorbeigehen“ an. Doch viele Kunden suchen vergeblich nach Einsatzmöglichkeiten für die neue Technik.

MasterCard muss sich schon freuen, dass in den kommenden zwei Jahren alle 2500 Aral-Tankstellen in Deutschland mit entsprechenden Lesegeräten ausgestattet werden, damit ihre „Tap & Go“-Technologie funktioniert. Beim Feldversuch der Sparkassen ist die Zahl der Anlaufstellen auch noch übersichtlich. Bislang steht nur die Supermarktkette Edeka als Partner fest. Mit einem großen Tankstellenbetreiber und zwei Drogerieketten liefen noch die Verhandlungen, so Adamiok. Im Februar nächsten Jahres sollen Kunden ihre neuen Karten erstmals nutzen können.

Grundsätzlich zeigt sich der Handel der neuen Technik gegenüber aufgeschlossen. „Der Einzelhandel ist schon seit Langem auf der Suche nach einem bargeldlosen Bezahlverfahren, das günstig ist“, sagt Ulrich Binnebößel, Zahlungsexperte des Handelsverbandes Deutschland (HDE). Mehr als eine halbe Milliarde Euro pro Jahr muss der Handel derzeit an Kreditkartenunternehmen und Banken für ihre Dienstleistung überweisen. „Wenn es ein neues Verfahren gäbe, das der Branche diese Kosten erspart, wäre das sehr attraktiv“, sagt Binnebößel. Das System von Google könne deshalb tatsächlich interessant werden. Die Kalifornier verlangen keine gesonderten Transaktionsgebühren.

Den Händlern kommt es zudem auf ein höheres Tempo beim Bezahlen an. Ein paar Sekunden weniger pro Kunde können viel Geld wert sein. Weniger Kassen, weniger Personal - so einfach ist die Rechnung. Und weniger genervte Kunden in der Schlange sind auch kein Nachteil. Das werden die Bierverkäufer auf dem Musikfestival in Scheeßel genauso sehen, wenn am Abend die Top-Acts auf der Bühne stehen.