Jeder hat das Recht zu erfahren, was in seiner Krankenakte steht, doch immer mehr Ärzte verweigern ihren Patienten den Einblick in das Dokument. Dahinter steckt oft die Angst, dass Fehler entdeckt werden - oder die Empörung über Patienten, die Ärzten auf Augenhöhe begegnen wollen.

Das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, hatte Herr P. von Anfang an: Es begann gleich am Tag der Aufnahme seiner Frau in die Klinik im Münchner Stadtteil Bogenhausen, als er sich zu wenig und zu widersprüchlich informiert fühlte. Und es setzte sich fort bis nach dem Tod seiner Frau, als Herrn P. eine Reha-Zusage für die Verstorbene zugestellt wurde. "Das war Schlamperei von Haus aus", sagt der 81-Jährige. Doch als er das prüfen wollte und Einsicht in die Krankenakte forderte, weigerte sich die Klinik. Wochenlang. Nun hat P. das Krankenhaus verklagt - ein Schritt, von dem sich Patienten- und Verbraucherschützer große Signalwirkung erhoffen.

Denn Fälle, in denen Ärzte Patienten das Einsichtsrecht in die Krankenakte verweigern, häufen sich. "Wir hatten im vergangenen Jahr 250 Fälle, bei denen Einsicht in die Akten vorgenommen werden sollte. Nur einmal lief das reibungslos ab", sagt Eugen Brysch von der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, die auch Herrn P. berät.

Ähnliche Entwicklungen beobachten die Verbraucherschutzzentralen: Immer wieder weigern sich demnach Mediziner, Unterlagen herauszugeben - teils aus Angst, dass Fehler entdeckt würden, teils aus Empörung über Patienten, die ihnen auf Augenhöhe begegnen wollen. "Oft müssen wir die Ärzte erstmal aufklären über das Patientenrecht auf Einsicht in die Krankenakte", sagt Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg.

Dieser Blick in seine persönliche Krankendokumentation steht jedem Menschen grundsätzlich zu, das hat der Bundesgerichtshof schon 1982 entschieden. Menschen wie Herr P., die eigens dazu bevollmächtigt wurden, sind zudem berechtigt, Akten ihrer Angehörigen zu lesen und sie sogar Dritten zu zeigen.

"Dies gilt aber nicht in jedem Fall", betont die Bundesärztekammer: Das Einsichtsrecht erstrecke sich "nicht auf denjenigen Teil der Dokumentation, der subjektive Eindrücke und Wahrnehmungen des Arztes enthält". Hat ein Arzt also etwa notiert, sein Patient sei schwierig oder habe nervige Angehörige, so darf er diese Stellen schwärzen.

Doch die Grenzen zwischen objektiven und subjektiven Eindrücken verschwimmen leicht; dahinter könnten sich Ärzte gut verstecken, bestätigen Patientenschützer einhellig - wie im Fall von Herrn P. aus München, zu dem die Klinik auf Anfrage erklärte: "Es wurden insbesondere auch subjektive Patientendaten gefordert." Nur deshalb halte man die Akten zurück. Die Hospiz Stiftung hält dies für eine hanebüchene Ausrede.

Denn Herr P. habe in der Klinik täglich wechselnde Informationen über den Zustand seiner Frau bekommen: "Mal wurde eine vermeintliche Lungenentzündung behandelt, dann Krebs und zuletzt wurde ein Schlaganfall entdeckt", sagt Eugen Brysch von der Stiftung. Selbst er und seine Kollegen wussten zuletzt nicht mehr, wozu sie eigentlich raten sollten, so verwirrend waren die Aussagen der Ärzte.

Also forderten sie Akteneinsicht - vergeblich. "Wenn es jemand so vehement ablehnt, sich in die Karten schauen zu lassen, macht er sich verdächtig", sagt Brysch. Als die Frau am Ende in dem Münchner Krankenhaus starb, fasste ihr Mann den Entschluss zu klären, was genau ihr zuvor widerfahren war.

Hilfe in solchen Lagen könnte bald das neue Patientenschutzgesetz bieten, das derzeit erarbeitet wird. Experten fordern, darin ein sofortiges Einsichtsrecht festzuschreiben - damit Menschen wie Herr P. nicht um ihren Wunsch nach Wissen kämpfen müssen.