co2 filter prototype
© Climeworks AGPilotanlage in der Schweiz: Der Luft 900 Tonnen Kohlendioxid im Jahr entziehen
Was tun, wenn die Menschheit weiter viel zu viel CO2 in die Atmosphäre pustet? Um einen extremen Klimawandel zu verhindern, könnte man das Treibhausgas direkt aus der Luft filtern. Die Technik dafür wird gerade entwickelt.

Es wird immer mehr. Im vergangenen Jahr ist die Kohlendioxidkonzentration in der Luft auf den Rekordwert von 398 ppm (parts per million) gestiegen. Bis zu einer Grenze von 450 ppm stehen die Chancen gut, dass die Erderwärmung auf zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit beschränkt bleibt. Fällt diese Marke, droht der Klimawandel außer Kontrolle zu geraten.

Windräder und Solaranlagen, mehr Energieeffizienz, strengere Abgasnormen - das und mehr soll den Anstieg der CO2-Konzentration verlangsamen. Doch wenn das nicht genügt? Schaut man sich die vor dem Pariser Klimagipfel abgegebenen Selbstverpflichtungen der Länder an, dann könnten die Emissionen weltweit bis zum Jahr 2030 weiter steigen - eine Trendwende ist nicht in Sicht. Wie soll dann erst das in Paris beschlossene Ziel von 1,5 Grad erreicht werden?

Womöglich schlägt schon bald die Stunde von Unternehmen wie Climeworks. Das Spin-off der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich hat eine Art Kescher entwickelt, mit dem sich CO2 aus der Atmosphäre fischen lässt. Herzstück der Anlage ist ein Filter, durch den große Mengen an Luft gesaugt werden. "Der Filter ähnelt einem Schwamm mit einer Trägerstruktur aus Zellulose", sagt Dominique Kronenberg von Climeworks. Der Filter enthalte spezielle Moleküle, an die CO2-Moleküle aus der Luft andocken könnten, erläutert Kronenberg von Climework.

Ist der Filter gesättigt, wird er mit der Abwärme einer benachbarten Müllverbrennungsanlage auf 95 Grad erhitzt. Das Treibhausgas löst sich und wird aufgefangen. Der Filter kann anschließend wiederverwendet werden. Derzeit baut Climeworks bei Zürich eine Pilotanlage, die der Luft 900 Tonnen Kohlendioxid im Jahr entziehen kann. Sie soll im kommenden Sommer in Betrieb gehen.

Auch in den USA und Kanada arbeiten Unternehmen und Forschungsinstitute an solchen, Air Capture genannten Verfahren. Das kanadische Start-up Carbon Engineering zum Beispiel hat im Oktober eine Forschungsanlage in Betrieb genommen, die täglich eine Tonne CO2 aus der Luft extrahiert. Schon vor Jahren hatte Klaus Lackner von der University of Columbia in New York das Konzept künstlicher Bäume propagiert.

Emissionen mindern, Treibhausgase entfernen

Falls sich die Technologie in der Praxis bewährt - besteht dann nicht die Gefahr, dass die Staaten den Klimaschutz auf die lange Bank schieben werden? Warum auf Kohlekraftwerke oder Verbrennungsmotoren verzichten, wenn sich das CO2 einfach wieder aus der Luft entfernen lässt?

"Das CO2-Budget, das uns im Rahmen des Zwei-Grad-Ziels noch zur Verfügung steht, ist gering. Wir brauchen daher beides: eine aggressive Minderung der Emissionen sowie die Option, Kohlendioxid nachträglich aus der Atmosphäre zu entfernen", erklärt Elmar Kriegler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die CO2-Tilgung könne die Reduktion der Treibhausgasemissionen auf keinen Fall ersetzen, betont der Wissenschaftler. "Je länger wir warten würden, den CO2-Ausstoß im nötigen Maße zu senken, desto stärker müssten wir uns auf derzeit noch spekulative Technologien wie Direct Air Capture verlassen", sagt Kriegler.

CO2-Zertifikate zu billig

Sinnvoll ist die Entwicklung von Verfahren zur CO2-Entnahme nach Meinung Krieglers aber auf jeden Fall - auch, weil sich damit Emissionen der Vergangenheit aus der Atmosphäre entfernen lassen. In großem Stil eingesetzt, könnten sie den Kohlendioxidgehalt der Luft eines Tages vielleicht sogar reduzieren.

Bleibt die Frage: Wer soll das bezahlen? Die American Physical Society setzt für die Luftfilter Kosten von mindestens 600 US-Dollar pro Tonne CO2 an. Diese könnten mit Weiterentwicklung der Technologie allerdings noch deutlich sinken.

Um Kohlendioxid dauerhaft aus der Atmosphäre zu entfernen, muss es in den Untergrund, etwa in ehemalige Erdgaslagerstätten, gepresst werden. Dafür gibt es jedoch kein Geschäftsmodell. Zwar wäre es theoretisch möglich, Air Capture über den CO2-Emissionshandel zu finanzieren. Doch das wird auch auf lange Sicht nicht funktionieren, meint Kriegler. "Dafür wären Zertifikatspreise von über hundert US-Dollar pro Tonne nötig - ein Vielfaches der heutigen Preise", sagt der Forscher.

Kohlendioxid als Rohstoff

Für Climeworks steht die Minderung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre daher derzeit auch gar nicht im Vordergrund. "Unsere Technologie zielt in erster Linie darauf, unabhängig vom Standort reines Kohlendioxid zur Verfügung zu stellen. CO2 ist nämlich ein gefragter Rohstoff, etwa für die Getränkeindustrie", sagt Kronenberg. Das Kohlendioxid aus dem Schweizer Pilotprojekt wird zu einer benachbarten Gärtnerei geleitet, wo es das Wachstum von Gewächshausgemüse anregt.

Am sinnvollsten ist es nach Meinung Kronenbergs jedoch, mit dem Kohlendioxid klimaneutrale Treibstoffe zu produzieren - so, wie es etwa in der Versuchsanlage eines Partnerunternehmens in Dresden geschieht. Dort wird Wasser unter Strom gesetzt, sodass sich der Sauerstoff und der Wasserstoff voneinander trennen. Aus Wasserstoff und Kohlendioxid lassen sich dann Benzin, Diesel oder Kerosin und andere Energieträger herstellen.

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© Climeworks AGAblauf der CO2-Gewinnung: Filter binden das Treibhausgas, Wärme setzt es frei
Langfristig bietet das durchaus eine interessante Perspektive, meint Peter Viebahn vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Wenn Strom und Wärme eines Tages komplett aus erneuerbaren Energien gewonnen werden, fallen Kraftwerke und Industrie als mögliche Kohlendioxidquellen weg. "Für die Produktion von Kraftstoffen sowie synthetischem Erdgas und Industriegrundstoffen mittels Methanisierung von Wasserstoff - der wiederum aus Wind- oder Fotovoltaikstrom gewonnen würde - wird jedoch CO2 benötigt. Das könnte dann mit Direct Air Capture aus der Luft entnommen werden", sagt Viebahn.