Etwa 54 Millionen Euro Forschungsgeld haben sich Betrüger eines internationalen Kartells mit Hilfe erfundener Forschungsprojekte und Scheinfirmen erschlichen. 22 Personen in verschiedenen europäischen Ländern stehen unter Betrugsverdacht.

Ein internationales Kartell hat offenbar mit erfundenen Forschungsprojekten und Scheinfirmen etwa 54 Millionen Euro Forschungsgeld erschwindelt, wie die Antibetrugsbehörde der Europäischen Kommission aufgedeckt hat.

Ein erster Verdacht kam den Betrugsbekämpfern in Brüssel bereits 2007, von Ende 2008 an befasste sich die italienische Finanzpolizei Guardia di Finanza mit dem Fall und holte Anfang Mai dieses Jahres zu einem Schlag gegen das Netzwerk aus.

Im Zentrum der Untersuchungen in Mailand stehen fast zwei Dutzend fingierte Projekte. 22 Personen in verschiedenen europäischen Ländern stehen unter Betrugsverdacht. Es sei nicht auszuschließen, dass diese Zahl noch steige, so die Antibetrugsbehörde in Brüssel.

Weil die Ermittlungen der Behörden in den anderen wahrscheinlich betroffenen Ländern Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Österreich, Schweden, Slowenien und Polen noch laufen, gibt die EU-Kommission kaum Informationen über den Fall heraus. Bislang ist lediglich bekannt, dass die geförderten verbrecherischen Syndikate offenbar angaben, sich mit Informationstechnologie zu befassen.

"Viele von ihnen entwickelten Computerprogramme", sagt Oberstleutnant Marco Menegazzo von der italienischen Finanzpolizei, der die Untersuchungen leitet. "In einigen Fällen war der offizielle Koordinator des Forschungsprojektes verantwortlich für das Geschehen", mitunter benutzten die Hochstapler aber auch nur die guten Namen erfolgreicher Forscher oder angesehener Institutionen und schrieben ohne deren Wissen, aber in deren Namen Förderanträge.

"Einen größeren Betrugsfall mit Forschungsgeldern hat es unseres Wissens noch nie gegeben", sagt der Sprecher des EU-Kommissariats für Steuern, Zoll, Betrugsbekämpfung und Revision, David Boublil.

Das Geld versickerte in einem transeuropäischen Netzwerk aus Scheinfirmen und realen Unternehmen, die Rechnungen für niemals getätigte Arbeit stellten. Die betrügerischen Aktivitäten seien auf ausgeklügelte Art organisiert worden, "mit dem Ziel, die Kontrollmechanismen zu hintergehen", heißt es in einer Mitteilung der Brüsseler Antibetrugsbehörde.

Das Geflecht des kriminellen Verbundes sei mit Bedacht undurchsichtig gestaltet worden, "einige der eingesetzten Methoden ähneln denen, die zur Geldwäsche und anderen organisierten Verbrechen genutzt werden". "Dass die beteiligten Unternehmen ihren Sitz in verschiedenen Ländern haben, machte die Untersuchung sehr kompliziert", erklärt Menegazzo.

Ob beim Aufdecken der Machenschaften ein Informant geholfen hat oder die Inspekteure selbst über Unregelmäßigkeiten gestolpert sind, will der Sprecher des Steuerkommissariats Boublil nicht verraten.

Er betont jedoch, dass die Kommission bereits Konsequenzen aus dem Vorfall gezogen habe und die Gutachter nun geschult würden, speziell auf die von den Betrügern eingesetzten Methoden zu achten: "Die Begutachtungsrichtlinien werden gerade überarbeitet." Die Strafverfolger hätten außerdem bereits zehn Millionen Euro wiederbeschafft, vor Gericht wolle Brüssel versuchen, auch den Rest zu erstreiten.

Solange die Untersuchungen andauern, wollen die Behörden der EU und Italiens keine weiteren Angaben zu den Mitgliedern des Syndikats und ihrer Vorgehensweise machen. Die Brüsseler Antibetrugsbehörde werde abschließend einen detaillierten Bericht vorlegen, lässt ihr Sprecher Johan Wullt wissen.

Wann das sein werde, könne er nicht sagen. Bis dahin bleibt rätselhaft, wie die Schwindler über 50 Millionen Euro unter den Augen der Kontrolleure für erfundene Forschungsprojekte abzweigen konnten. Alles deutet darauf hin, dass sich die Täter sehr gut mit dem Antragswesen ausgekannt haben und so dessen Schwachstellen ausnutzen konnten.