Münsterland - Lisa Degener schickt ihre Patienten von Altenberge nach Münster. Da geht es schneller als im Kreis Steinfurt. Viel schneller. 27,5 Wochen, das sind fast sieben Monate, müssen laut einer Studie der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) die Patienten im Kreis Steinfurt warten, bis sie einen Termin beim Therapeuten bekommen.

Bei Kindern und Jugendlichen dauert es noch länger“, berichtet die Allgemeinmedizinerin. In Münster hingegen geht es schneller. Rund sechseinhalb Wochen vergehen bis zum ersten Handschlag in der Praxis.

„Immer noch zu lange“, wie der Sprecher der BPtK, Kay Funke-Kaiser, überzeugt ist. Wartezeiten wie im Kreis Steinfurt seien für den ländlichen Raum „eine Katastrophe“.

Funke-Kaiser fordert, dass die Bedarfsplanung für Psychotherapeuten neu geregelt wird, da der Bedarf nie nach wissenschaftlichen Erkenntnissen errechnet worden sei. „Für Psychotherapeuten wurde die Anzahl der Versorgungskapazitäten danach bestimmt, wie viele Psychotherapeuten 1999 innerhalb von acht Monaten eine Zulassung erhielten.“ Die Kalkulation sei von Beginn an zu niedrig gewesen. Zudem habe sich in den vergangenen Jahren viel verändert.

Patienten, die früher mit Schlafstörungen zum Hausarzt gekommen seien, denen habe man Tabletten verschrieben. „Von einer Depression hat damals niemand gesprochen“, sagt der Kammersprecher. Er erwartet mit Einführung des neuen Versorgungsgesetzes, das sich momentan im Referentenentwurf befindet, sogar eine Verschlechterung der Lage. Kay-Funke: „Da es sich an den Zahlen aus 1999 orientiert, besteht in vielen Kreisen auf dem Papier eine Überversorgung.“

Die bestätigt auch der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung in Westfalen-Lippe, Christopher Schneider. Im Kreis Steinfurt liegt nach seiner Auskunft der Versorgungsgrad bei 145 Prozent. Schneider: „Es ist in ganz Westfalen-Lippe nicht möglich, sich als Psychotherapeut niederzulassen.“ Eine Ausnahme bilde die Übernahme von bestehenden Praxen. Zu den genauen Wartezeiten kann er sich nicht äußern, sie liegen seiner Einschätzung nach aber unter denen der Studie. „Richtig ist aber, dass die Relationen nicht mehr stimmen“, meint Schneider.

Keinen Bedarf an weiteren Praxen für Psychotherapeuten sieht die AOK Nordwest. Sie bezieht sich in einer Stellungnahme gegenüber unserer Zeitung auf die Bedarfsplanung, sieht eine Überversorgung und spielt den Ball zurück: Die Psychotherapeuten müssten analog ihrer Zulassung auch entsprechend viele Patienten behandeln. Dies sei nicht der Fall und verhindere eine Entschärfung der Problematik.

Nach dem ersten Termin in der Praxis müssen die Patienten oft noch einmal eine lange Wartezeit ertragen. Zwischen Erstgespräch und Behandlungsbeginn liegen laut der Studie drei weitere Monate. Kay-Funke: „Es gibt Patienten, die bis dahin resigniert haben und keine Behandlung mehr in Anspruch nehmen.“ Allein die Kosten für Fehltage depressiv erkrankter Arbeitnehmer betrügen jährlich 1,6 Milliarden Euro.