Eine neue Studie beleuchtet, wie moralische Entscheidungen im Gehirn getroffen werden. Mit Hilfe von Magnetstimulation lässt sich das System aus dem Gleichgewicht bringen.
Gehirn
© fotolia / Kiyoshi Takahase Segundo
Wenn ein Richter sein Urteil fällt, hat er viele Aspekte zu beachten: Wie verwerflich war die Tat? Wie hoch ist der angerichtete Schaden? Ist der Angeklagte überhaupt zurechnungs- oder schuldfähig? Für das Gehirn ist die Abwägung all dieser Aspekte eine hochkomplexe Angelegenheit.

Verantwortlich für solche Entscheidungen ist eine direkt unter dem vorderen Schädeldach gelegene Hirnregion. Der so genannte dorsolaterale präfrontale Kortex (DLPFC) ist offenbar die Struktur, in der moralische Einschätzungen mit anderen Informationen zusammengeführt und abgewogen werden. Das hat eine internationale Forschergruppe um Joshua W. Buckholtz von der Harvarduniversität nun experimentell nachgewiesen. Mit Hilfe transkranieller Magnetstimulation gelang es ihnen, einzelne Aspekte von Entscheidungen, die auf moralischen Bewertungen beruhen, selektiv zu hemmen und so die Fähigkeit zur Abwägung entscheidend zu stören.

Dazu versetzten sie 66 Freiwillige in die Rolle eines Richters und führten ihnen fiktive Straftäter vor. Obwohl die Teilnehmer deren Taten moralisch als ungefähr gleich verabscheuungswürdig einschätzten, fällten diejenigen Probanden, deren DLPFC durch magnetische Störimpulse beeinträchtigt war, durchweg signifikant mildere Urteile als die Kontrollgruppe.

Offenbar war den Probanden mit gehemmten DLPFC weniger wichtig, ob die Taten aus niederen Motiven verübt wurden oder ob die Schuldfähigkeit der Täter zum Tatzeitpunkt eingeschränkt war. Aus Sicht der Forscher schwächten die magnetischen Störsignale den Einfluss der moralischen Bewertung auf das Strafmaß ab oder entkoppelten sie sogar von der Entscheidung.

Das direkt unter dem vorderen Schädeldach gelegene Areal ist schon länger dafür bekannt, an Entscheidungsprozessen beteiligt zu sein. Wie es dieser Aufgabe genau nachkommt, ist allerdings noch immer Gegenstand aktueller Forschung.

Der strafsenkende Effekt der Magnetstimulation kam im Experiment allerdings nur bei leichten bis mittelschweren Straftaten zum Tragen. Bei schweren Straftaten wie Mord habe es für die Probanden bei der Bewertung nur wenig Spielraum gegeben, so die Erklärung der Wissenschaftler; Abwägungsprozesse spielten in diesen Fällen bei den Probanden eine untergeordnete Rolle.