Menschliche Sprache wird in erster Linie in der linken Hirnhälfte verarbeitet. Nun haben Forscher eine erstaunliche Ausnahme von der Regel entdeckt

Bochum/Wien - Die im kurzen Videoclip festgehaltene Szene ist schon beim Hinschauen erstaunlich: In einer bewaldeten Berglandschaft pfeifen einander zwei Personen abwechselnd ziemlich elaborierte Laute zu. Die Entfernung der pfiffigen Männer beträgt 700 Meter Luftlinie, ihre Standorte sind durch ein Tal getrennt.
Pfeifsprache Türkei
© onur güntürkünDie richtige Technik macht den Meister: Die komplexen Laute des gepfiffenen Türkisch, das immer noch in entlegenen Bergregionen der Türkei "gesprochen" wird, entstehen durch spezielle Fingerhaltungen.
Vollends verblüffend wird die Szene mit "Übersetzung": Nachdem die beiden Männer Grüße ausgetauscht haben, fragte der eine den anderen, ob er später ins Café herüberkommen würde. Der solcherart Angepfiffene bejaht pfeifend. Dann kommt der Forscher ins Spiel, der die Szene filmt: Er lässt Grüße ausrichten. Prompt wird von drüben zurückgepfiffen, wann der Professor das Dorf verlassen wird. "Morgen" lautet die pfiffige Antwort, worauf der andere von drüben eine gute Reise wünscht, pfeifend.

Wichtiges Kommunikationsmittel

Das Video hat Onur Güntürkün aufgenommen, ein an der Uni Bochum tätiger Hirnforscher mit türkischen Wurzeln, der sich seit einigen Jahren mit dem gepfiffenen Türkisch beschäftigt. Dass diese Sprache überhaupt existiert, sei ein unglaublicher Glücksfall, so Güntürkün: "Es ist wie ein Experiment der Natur." Vor der Einführung von Telefonen war gepfiffenes Türkisch in den Bergregionen der nordöstlichen Türkei die wichtigste Kommunikationsform über weite Strecken. Schuld daran ist die zerklüftete Topografie, die Ortswechsel erschwert: Über hunderte Meter hinweg ist Pfeifen besser hörbar. Gepfiffenes Türkisch ist keine andere Sprache, nur Türkisch in einer anderen Form, erklärt Güntürkün. Es sei aber selbst für Personen, die des Türkischen mächtig sind, nur sehr schwer zu verstehen, so der Forscher.

Verarbeitung in beiden Hirnhälften

Noch faszinierender als das gepfiffene Türkisch ist für den Neurowissenschafter aber, was sich dabei im Hirn abspielt. Während nämlich alle Sprachen - egal ob gesprochen oder gelesen - vor allem in der linken Hemisphäre verarbeitet werden, werden beim gepfiffenen Türkisch beide Hirnhälften benötigt, berichtet Güntürkün im Fachblatt Current Biology: Für die Pfeifsprache braucht es Informationen über Frequenz, Melodie oder Tonhöhe - und die werden in der rechten Hemisphäre verarbeitet.

(tasch)

Abstract Current Biology: "Whistled Turkish alters language asymmetries"