Bad Oeynhausen (epd). In der diakonischen Stif-tung Wittekindshof in Bad Oeynhausen hat es nach einer eigenen Studie mehrere schwere Misshandlungen von geistig behinderten Menschen gegeben. Von den 30er bis in die 60er Jahre seien neun Fälle von schwerer körperlicher oder sexualisierter Gewalt gegen Bewohner belegt, erläuterte der Bielefelder Historiker Hans-Walter Schmuhl am 27. Juni bei der Vorstellung der vom Wittekindshof in Auftrag gegebenen Studie. Die Stiftung bat die Opfer um Vergebung und kündigte Hilfen an.

Die schweren Fälle reichen demnach von Schlägen mit Riemen und Stöcken über sexuelle Nötigung bis zu einer brutalen Vergewaltigung. Zudem seien "maßvolle" körperliche Züchtigungen vorgekommen, die von den Hausleitungen bis zu einem bestimmten Punkt geduldet worden seien, führte Schmuhl aus. Zum Alltag hätten eine strenge und oft entwürdigende Behandlung, demütigende Rituale und eine "kaum kontrollierte Verabreichung von Psychopharmaka" gehört. Auch Elektroschocks seien trotz Verbots der Anstaltsleitung eingesetzt worden.

In der Regel wurden die Mitarbeiter laut Schmuhl zwar nach auffälligen groben Misshandlungen vom Dienst suspendiert oder entlassen. In den bislang bekannten Fällen habe es jedoch keine Strafanzeigen gegeben. Gewalt wurde der Studie zufolge vor allem von Mitarbeitern auf den unteren Stufen der internen Hierarchie angewendet, die mit erziehungsschwierigen Kindern und viel zu großen Gruppen nicht zurechtkamen. Die Opfern seien damals angewiesen worden, über die Vorfälle zu schweigen, erklärte Schmuhl, der die Studie gemeinsam mit der Berliner Politikwissenschaftlerin Ulrike Winkler verfasst hat.

"Menschen mussten im Wittekindshof großes Unrecht erleiden", erklärte Wittekindshof-Vorstandssprecher Dierk Starnitzke. "Deshalb bitte ich sie im Namen der Diakonischen Stiftung Wittekindshof ausdrücklich um Vergebung." Aufgabe für die Zukunft müsse es sein, verantwortungsvoll mit diesen Geschehnissen und den betroffenen Menschen umzugehen. Dazu gehöre die Veröffentlichung und Aufarbeitung. Starnitzke kündigte auch die Beteiligung der Stiftung an einem Unterstützungsfonds für die Opfer an.

Untersuchung setzt Maßstäbe bei der Aufarbeitung von Gewalt

Die diakonische Stiftung werde sich zudem dafür einsetzen, dass die vom Runden Tisch Heimerziehung beschlossenen Hilfen auch Menschen in der Behindertenhilfe zugutekommen, erklärte Starnitzke. Bislang seien diese Menschen bei den Überlegungen des Runden Tisches ausgeklammert gewesen, kritisiert er.

Grundlage für die Studie waren den Angaben zufolge bisher nicht ausgewertete Materialien aus Archiven in Bad Oeynhausen, Bielefeld und Berlin. Zudem seien Interviews mit ehemaligen Bewohnern und Mitarbei-tern verwendet worden. Die Studie leiste hier Pionierarbeit, indem sie mit Mitteln der Geschichtswissenschaft Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen untersuche, erklärte Schmuhl. Die 1887 gegründete Stiftung Wittekindshof betreut heute mit rund 2.800 Mitarbeitern etwa 3.300 Klienten in den Regionen Ostwestfalen, Münsterland und im Ruhrgebiet.

Holger Spierig