Die Untersuchung der DNA von Inka-Mumien zeigt: Heutige Südamerikaner sind mit den Ureinwohnern kaum verwandt. Die Urvölker wurden von den Europäern nahezu vollständig ausgelöscht.
Mumie Inka-Frau
© Johan ReinhardMumie einer Inka-Frau. Ihre DNA wurde jetzt untersucht.
Erbgutproben von 92 Mumien aus verschiedenen Regionen Südamerikas verraten, wie verheerend die Kolonisation durch Europäer vor 500 Jahren für die Ureinwohner des Kontinents war. Eine DNA-Analyse der vor 500 bis 8500 Jahren Verstorbenen zeigt, dass heutige Bewohner Südamerikas praktisch keine genetische Verbindung mehr zu jenen Menschen haben, die dort lebten, als Christoph Kolumbus über den Atlantik gesegelt kam.

Die Kolonisation habe demnach zu "substanziellen Verlusten" der präkolumbianischen Linien geführt, schreibt ein internationales Forscherteam um den Archäogenetiker Wolfgang Haak vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts Science Advances. Haak und seine Kollegen schätzen den Verlust der ursprünglichen Bevölkerung auf 50 Prozent ein. Manche Historiker haben den Wert sogar bei 80 bis 90 Prozent angesetzt. Ob es vor allem von Europäern eingeschleppte Krankheiten waren, die den Ureinwohnern zusetzten, oder eher die Gewalt der Eroberer, ist noch immer umstritten.

Die europäische Kolonisation löschte viele der isoliert lebenden Gruppen aus

Unter den bis heute genetisch untersuchten Südamerikanern findet sich keiner, der in einer direkten Erblinie mit einer der untersuchten Mumien steht. Die Forscher schätzen, dass die letzten gemeinsamen Vorfahren heutiger Südamerikaner und vorkolumbianischer Ureinwohner vor etwa 9000 Jahren gelebt haben. Die beste Erklärung dafür liefert das Szenario, nachdem die ersten Besiedler Südamerikas sich schnell in kleinere Gruppen aufgeteilt haben und dann über einige Tausend Jahre hinweg getrennt voneinander blieben. Durch die europäische Kolonisation wurden viele dieser isoliert lebenden Gruppen offenbar vollständig ausgelöscht, ansonsten hätte Haaks Team noch genetische Signale von ihnen im Erbgut heute lebender Südamerikaner finden müssen.

Abschließend seien diese Ergebnisse jedoch noch nicht, sagt Haak. Zum einen hat die Untersuchung bisher ausschließlich Mumien aus dem Westen des südamerikanischen Kontinents erfasst. Zum anderen könnte es auch sein, dass aus den Regionen, in denen die Mumien gefunden wurden, bislang schlicht zu wenig genetische Analysen der heutigen Bevölkerung vorliegen. Würde man im Erbgut von mehr Menschen suchen, könnte man darin vielleicht doch noch Hinweise auf entfernte Verwandtschaft finden. Das würde die Kalkulation der Forscher über den Haufen werfen.

Ein zuverlässigeres Bild zeichnen die neuen Daten wahrscheinlich bereits jetzt von der ursprünglichen Besiedelung des amerikanischen Kontinents durch den Menschen. Die begann vor etwa 25 000 Jahren, ausgehend von Sibirien über die damals noch bestehenden Landbrücke zwischen Asien und Amerika. Während der letzten großen Eiszeit kamen die Siedler zunächst wohl nicht einmal bis ins heutige Alaska. Die Analyse der Mumien-DNA deutet darauf hin, dass eine recht kleine Gruppe von vielleicht 2000 bis 3000 Menschen vor 16 000 Jahren begann, die Pazifikküste hinab zu migrieren. Erst später öffnete sich auch die Eisbarriere zum nordamerikanischen Hinterland, und Nachfahren der ursprünglichen Siedler breiteten sich in den Osten aus. Der Zug gen Süden vollzog sich wahrscheinlich sehr rasch. Spätestens vor 14 600 Jahre kamen die ersten Menschen im Süden Chiles an, das belegen archäologische Funde.