Sensationsfund in einer Unterwasserhöhle: Das beinahe 13 000 Jahre alte Skelett eines Mädchens gibt Aufschluss über die Besiedlungsgeschichte Amerikas. Die Schädelform der jungen Frau ist jedoch rätselhaft.
Forscher Unterwasserhöhle Mexiko
© Paul NicklenAlberto Nava und Susan Bird transportieren das älteste, fast vollständig erhaltene Skelett der Neuen Welt durch die Unterwasserhöhle in Mexiko.
Als die Taucher Alberto Nava und Susan Bird im Mai 2007 zum ersten Mal in die Unterwasserhöhle unter der mexikanischen Halbinsel Yucatán hinein schwammen, verschluckte die gewaltige dunkle Kammer sofort das Licht ihrer Lampen. Nava und Bird waren mitten im feuchtwarmen Dschungel von oben ins Höhlensystem Sac Actun eingestiegen und einen Kilometer durch einen engen Tunnel geschwommen, als plötzlich unter ihren Füßen nur noch ein schwarzes Nichts war. "Der Boden unter uns verschwand und wir konnten nicht zur anderen Seite sehen", erzählt Nava im Fachmagazin Science (Bd. 344, S.750, 2014), weshalb sie die gigantische, 60 Meter hohe Wasserhöhle "Hoyo Negro" nannten, Schwarzes Loch.

Als sie zwei Monate später mit stärkeren Lichtern wiederkamen und die Höhle erforschten, stießen sie auf die eigentliche Sensation. Denn tief unten auf dem Grund des Amphitheater-artigen Raums lagen die Überreste eines dünnen, 15- oder 16-jährigen Mädchens, fast vollständig erhalten und umgeben von Knochen von Säbelzahnkatzen, Pumas, Riesenfaultieren und Ur-Elefanten. Die menschlichen Knochen sind fast
13 000 Jahre alt, es ist damit das älteste, fast vollständige und genetisch noch intakte menschliche Skelett der Neuen Welt. Forscher um den amerikanischen Paläoanthropologen James Chatters haben es nun analysiert und ordnen das Naia (griechisch für Wassernymphe) getaufte Mädchen aufgrund eines Erbgutvergleichs in die direkte Ahnenreihe Amerikas ein.

Ihre Ergebnisse seien, so Chatters, ein Beleg dafür, dass Amerika über die Landbrücke von Asien aus besiedelt wurde und die heute noch lebenden Ureinwohner Amerikas Nachfahren der frühesten Paläoamerikaner seien, die vor rund 17 000 Jahren über die damals vorhandene Beringstraßen-Landbrücke von Asien aus über Alaska den Kontinent besiedelten. Damit stärken sie die These, dass die ersten Siedler aus Sibirien tatsächlich Amerika eroberten und nicht etwa erst spätere Einwanderer aus einer anderen asiatischen Bevölkerungsgruppe oder gar aus Europa. In den USA macht die Veröffentlichung über die Frage, wer die ersten Amerikaner waren, derzeit ziemlichen Wirbel.

Genetiker im Team hatten das noch erhaltene Erbgut aus den Mitochondrien untersucht, den Kraftwerken der Zellen, die geschützt im Inneren eines Backenzahns die 13 000 Jahre relativ unbeschadet überdauert hatten. Ein bestimmter genetischer Marker, der auch in heute lebenden Ureinwohnern zu finden sei, belege die Verbindung, schreiben die Forscher um Chatters.

Der Kopf des Mädchens war etwas größer und spitzer als bei den heutigen Ureinwohnern

Ob es sich tatsächlich um den Beweis für die These handelt, dass Amerika im Wesentlichen in einer Einwanderungswelle vor mehr als
15 000 Jahren besiedelt wurde, ist jedoch aus einem anderen Grund noch nicht gesichert. Knackpunkt der Argumentation ist nämlich die Datierung von Naia. Normalerweise nutzen Forscher hier Kollagen aus den Knochen, organisches Material, das Kohlenstoff speichert. Dieses erlaubt die übliche C14-Datierung. Doch nach Jahrtausenden im Wasser war praktisch nichts mehr von diesem Bindegewebseiweiß vorhanden. Also mussten die Forscher einen Umweg gehen und sich auf die Mineralablagerungen auf den Knochen konzentrieren. Hier ist eine indirekte Datierung über die sogenannte Uran-Thorium-Zerfallsreihe möglich. Mindestens 12 000 Jahre alt seien die Ablagerungen, so Chatters. Damit müsse das Mädchen älter sein. Die Obergrenze von 13 000 Jahren ergebe sich aufgrund der Tierknochenfunde. Eine Reihe von Tieren wie das Riesenfaultier oder das Gomphotherium, eine Art Elefanten-Urahn mit großem Rüssel, war nämlich zu diesem Zeitpunkt praktisch ausgestorben.

Und noch eine Frage beschäftigt die Paläoanthropologen. Das Mädchen, das da vermutlich vor 13 000 Jahren in die damals noch nicht mit Wasser vollgelaufene Höhle fiel, besitzt eine andere Schädelform als heutige Ureinwohner. Während diese eher rundere und flachere Gesichter haben, war Naias Kopf größer und vorn etwas spitzer zulaufend. Chatters glaubt, das flachere Gesicht sei eine Art "domestizierte" Form, die sich im Lauf der Evolution herausgebildet hat, als sich die einstigen Jäger und Sammler niederließen und für Jahrtausende allein den Kontinent besiedelten. Der Weg über die Beringstraße war nämlich schon kurz nach ihrer Einwanderung wieder versperrt. Aufgrund der damaligen Klimaabkühlung hatte sich ein gewaltiger Eispanzer im Norden Amerikas aufgebaut. James Chatters will nun weitere genetische Untersuchungen anstellen und dabei auch das Erbgut aus dem Zellkern ergründen - falls es denn die Jahrtausende in der dunklen Höhle überdauert hat.

Mehr Bildmaterial und eine Karte des Fundorts finden Sie bei den Kollegen von National Geographic.