Kundgebungen der »Nuit debout«-Bewegung in knapp 60 Städten / Widerstand gegen die französische Regierungspolitik / Polizei geht gegen Demonstranten vor
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© AP Photo/Thibault Camus
Berlin. Frankreich bleibt wach - und die Bewegung »Nuit debout« wächst. Mehrere hundert Teilnehmer der Proteste gegen die französische Regierungspolitik haben am Samstagabend versucht, vor der Wohnung von Premierminister Manuel Valls im Osten von Paris zu demonstrieren. Die Demonstranten wollten »einen Aperitif bei Valls trinken«, doch blockierte die Polizei ihren Weg und löste unter Einsatz von Tränengas die Demonstration auf, wie ein AFP-Reporter berichtete. Valls befand sich auf einem Staatsbesuch in Algerien. Einige dutzend Demonstranten warfen Gegenstände auf eine örtliche Polizeiwache und zündeten Mülleimer an. Ein Polizeivertreter sagte später, die Versammlung habe sich kurz nach Mitternacht aufgelöst.

Die »Nuit debout«-Bewegung (»Die ganze Nacht wach«), die Ende März entstanden war, hielt am Samstagabend in knapp 60 Städten Kundgebungen ab. Die Protestbewegung richtet sich nicht nur gegen die Arbeitsrechtsreform, sondern auch gegen Umweltzerstörung, Mietsteigerungen, Homophobie oder Islamfeindlichkeit. Viele Teilnehmer lehnen auch den seit den islamistischen Anschlägen von November geltenden Ausnahmezustand ab.


Am Samstag hatten zuvor erneut Zehntausende Menschen in Paris und anderen Städten Frankreichs gegen die umstrittene Arbeitsrechtsreform der sozialistischen Regierung demonstriert. Dabei kam es in Paris, Rennes und Nantes zu Zusammenstößen mit der Polizei. Junge Demonstranten, von denen einige vermummt waren und Wurfgeschosse warfen, griffen die Polizei an, die ihrerseits Tränengas einsetzte. Nach Gewerkschaftsangaben wurden auch Demonstranten verletzt. In Paris hielten die Demonstranten Transparente mit Aufschriften wie »Game over - das Volk wacht auf« oder schlicht »Nein« in die Höhe.

Landesweit beteiligten sich laut Innenministerium etwa 120.000 Menschen an den Protesten, davon bis zu 20.000 in der Hauptstadt. Die Organisatoren der Proteste sprachen von 110.000 Teilnehmern allein in Paris. Am 31. März hatten sich laut Innenministerium bereits 390.000 Menschen an den Demonstrationen gegen die Arbeitsrechtsreform beteiligt, am 9. März waren es demnach 224.000. Die Organisatoren der Proteste in rund 200 Städten führten die etwas niedrigeren Teilnehmerzahlen am Samstag auf die Schulferien in zwei Dritteln des Landes zurück. Für den 28. April haben die Gewerkschaften zu erneuten Protesten und einem Streiktag aufgerufen. Am 3. Mai soll das französische Parlament über die Reform beraten.

Der sozialdemokratische Staatschef François Hollande und sein Premierminister Manuel Valls wollen die gesetzlichen Regelungen zur 35-Stunde-Woche lockern und betriebsbedingte Kündigungen erleichtern. Gegen das Projekt, das den Wünschen der Unternehmer nach weiterer Flexibilisierung und Liberalisierung des Arbeitsmarktes entgegenkommt, gibt es seit Wochen massive Proteste - nicht zuletzt vom linken Flügel der Regierungspartei Parti Socialiste. Die Umfragewerte von Hollande sind ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl im Keller. Laut einer Umfrage vom Samstag wollen nur noch 15 Prozent der Franzosen, dass Hollande sich überhaupt zur Wiederwahl stellt. Das sind fünf Prozentpunkte weniger als vor einem Monat.

Agenturen/nd