Es ist ein Sturm, der regelmäßig durch die sozialen Netzwerke tost, wenn Taktiken multinationaler Konzerne zur Steuerminimierung ruchbar werden - ein Sturm der Entrüstung. Besonders pikant wird es, wenn Unternehmen involviert sind, die ihre riesigen Gewinne zu einem guten Teil Zahlungen öffentlicher Stellen verdanken. Dazu zählt Big Pharma.
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Die Branche profitiert zumindest in Kontinentaleuropa von den Pflichtbeiträgen der Sozialversicherungen und von Steuermitteln. Die Wut auf Unternehmen wie Merck, Eli Lilly, Bristol-Myers-Squibb oder AbbVie steigt nicht nur in Europa. Die Pharmaindustrie steht auch in den USA immer mehr in der Kritik.

Für viele dort gilt Pfizer als Synonym für moralisch fragwürdiges Agieren. Der US-Konzern hat die amerikanischen Behörden wiederholt vor den Kopf gestoßen, zuletzt 2015. Der Pharmariese, der das Potenzmittel Viagra herstellt, gab im November bekannt, mit dem Botox-Produzenten Allergan zu fusionieren. Dass man damit die Steuern mindern und die Butter aufs Brot der Aktionäre, sprich den Shareholder-Value, mehren wollte, hat die Konzernspitze erst gar nicht bestritten.

Die Fusion wurde inzwischen abgesagt, aber nicht wegen der Vielzahl an ätzenden Kommentaren. Es sind die kürzlich verschärften US-Steuergesetze, die als Grund für das Platzen des Deals genannt wurden. Die neue Regelung schließt Steuerschlupflöcher, indem sie die Verlegung von Unternehmenssitzen ins Ausland aus Steuergründen weniger lukrativ macht.

"Alles legal"

Dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger stoßen die Praktiken der Pharmafirmen schon lange sauer auf. Neben der uneingeschränkten Gewinnmaximierung bei der Preisbildung von Medikamenten und dem exzessiven Abschöpfen von Marktpotenzialen wurde auch die Steuervermeidung zulasten der Gesellschaft wiederholt angeprangert.

Bei der Pharmig, dem Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs, Iässt man das nicht gelten. "Jedes Unternehmen unterliegt den wirtschaftlichen Gesetzen. Solange sich Firmen im legalen Rahmen bewegen, kann man ihnen nicht vorwerfen, dass sie Steuervorteile und damit verbundene nationale Bestimmungen nutzen", sagt Pharmig-Generalsekretär Jan Oliver Huber. Außerdem handle es sich um ein branchenübergreifendes Phänomen, das keinesfalls auf die Pharmaindustrie beschränkt sei.

Apple und Microsoft voran

In der Tat nutzen viele Unternehmen unterschiedlichster Branchen steuerrechtliche Lücken. Nach Erhebungen des US PIRG Education Fund und von Citizens for Tax Justice liegen Apple und Microsoft beim Vorbeischleusen von Geld noch vor Pfizer. Die beiden Nichtregierungsorganisationen haben die Steuerberichte der 500 größten US-Firmen unter die Lupe genommen, die 2014 bei der Börsenaufsicht eingereicht wurden. Das Ergebnis: Die Top-Konzerne haben in Summe 2100 Milliarden Dollar vor dem US-Fiskus versteckt, das meiste davon in Steueroasen.

Das immer größere Steuerrad, das nicht nur, aber eben auch Pharmakonzerne drehen, ruft zunehmend die Finanzminister jener Länder auf den Plan, die von den steuerschonenden Aktivitäten hauptbetroffen sind. Dazu gehören neben den USA, Deutschland und Kanada auch Brasilien, Frankreich, Mexiko, Indien, Großbritannien, Italien und Spanien. Dort werden nur vergleichsweise geringe Firmengewinne versteuert.

In Deutschland etwa deklarieren US-Multis nur 0,7 Prozent ihrer Gewinne, obwohl sie dort zwei Prozent ihrer Umsätze machen und 1,8 Prozent ihrer Mitarbeiter beschäftigen. Allein 2012 hat Deutschland dadurch bis zu sieben Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen eingebüßt.

Tax inversion

Anhand von Pfizer lässt sich zeigen, wie es vom Prinzip her läuft. Der US-Konzern hortet einen riesigen Geldbetrag auf seinen Konten im Ausland - die Rede ist von 74 Milliarden US-Dollar. Würde das Geld zurück in die USA geholt, wären hohe Steuerzahlungen fällig. Ein Heer von Steuerberatern sucht im Auftrag von Pfizer und Branchenverwandten Schlupflöcher, um die Steuerlast zu minimieren.

Lange Zeit ging das relativ einfach: Ein in den USA beheimateter Konzern musste sich nur von einem anderen Unternehmen aufkaufen lassen, das in einem Steuerparadies wie Irland, Luxemburg oder der Schweiz beheimatet war. Schon konnte er von den viel tieferen Steuersätzen profitieren.

Diesen Weg wollte Pfizer auch mit Allergan einschlagen, man spricht in dem Zusammenhang von "tax inversion". Allergan war früher selbst ein amerikanisches Unternehmen, bevor das Headquarter nach der Übernahme durch den irischen Konzern Actavis nach Dublin verlegt wurde. Die US-Verbindung ist unverändert da, das operative Geschäft wird von Kalifornien aus gesteuert.

Pfizers zweiter Versuch

Schon einmal hat Pfizer versucht, Milliarden im Ausland in eine Übernahme fließen zu lassen, um Steuern zu sparen. Objekt der Begierde war 2014 der britische Konkurrent Astra-Zeneca. Das gemeinsame Unternehmen sollte den Sitz in Großbritannien haben. Dadurch hätte sich der Konzern rund eine Milliarde Dollar pro Jahr erspart, weil Großbritannien im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise die Körperschaftssteuer gesenkt hat.

Die Übernahme scheiterte jedoch am Widerstand von Astra-Zeneca. US-Präsident Barack Obama sprach von einem "unpatriotischen Deal" und sagte, dass er dagegen vorgehen wolle. Die Hürden für "tax inversion" wurden erhöht.

Zu den Verlierern der Steuervermeidungsaktivitäten zählen neben vielen Industriestaaten auch Entwicklungsländer. Untersuchungen des Internationalen Währungsfonds zeigen, dass diese dreimal so stark in Sachen Steuervermeidung gefährdet sind wie OECD-Länder.

Nach Recherchen der Entwicklungsorganisation Oxfam haben zwischen 2008 und 2012 gut 50 Prozent der Entwicklungsländer ihre Ausgaben für Bildung gekürzt, gut zwei Drittel die Ausgaben für Gesundheit. Würden US-Konzerne "faire Steuern" zahlen, könnte etwa Honduras seine Budgets für Gesundheit und Bildung um jeweils zehn bis 15 Prozent aufstocken.