Stillen ist für das Kind nicht nur Ernährung
Stillen, Muttermilch
© JenkoAtaman/fotolia.comStudien zeigen, dass Muttermilch viele positive Effekte für das Kind hat.
Stillen gilt als die beste Ernährung für einen Säugling, denn in der Muttermilch befinden sich in optimaler Zusammensetzung alle Nährstoffe, die das Kind in den ersten Lebensmonaten braucht. Allein 200 verschiedene Zucker-Moleküle machen die menschliche Muttermilch zur komplexesten aller Säugetiere. Gerade deshalb steht die Forschung immer wieder vor einer großen Herausforderung, wenn es um die Frage geht, welche unterschiedlichen Effekte die Milch für Mutter und Kind hat. Klar ist jedoch, dass das gelblich-weißes Sekret der Milchdrüsen weit mehr Funktionen hat, als das Kind nur zu ernähren. Dies berichten Schweizer Forscher aktuell im Fachblatt Trends in Biochemical Sciences.

Milcheinschuss etwa am vierten Tag nach der Geburt

Die Brust beginnt schon in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft mit der Bildung von Milch. Diese wird als „Vormilch“ oder „Kolostrum“ bezeichnet und dient dazu, auch zu früh geborene Kinder theoretisch direkt nach der Geburt versorgen zu können. Diese Milch ist dünnflüssiger als die eigentliche Muttermilch, enthält aber eine höhere Konzentration an Eiweiß, Vitamin A und Kohlenhydraten. Dadurch wird das Kind nach der Geburt ausreichend ernährt und gestärkt - selbst wenn die Mutter nur einige Tropfen produziert. Etwa ab dem dritten oder vierten Tag nach der Geburt erfolgt dann der so genannte „Milcheinschuss“. Dieser kann etwas schmerzhaft sein, vor allem, wenn die Milchbildung sehr abrupt in Gang kommt. Von nun an bildet jede Brust über die ersten Wochen hinweg durchschnittlich 450 Gramm Milch am Tag. Je nach dem, wie intensiv gestillt wird, können es auch nach 15 Monaten noch 200 Gramm täglich sein, so die Forscher in ihrem Artikel.

Darmbakterien haben Einfluss auf Adipositas-Risiko

Kurz nach der Geburt sei die Milch jedoch nicht nur für die Ernährung des Kindes zuständig, sondern unterstütze auch den Aufbau einer gesunden Darmflora. Denn die zahlreichen Zucker-Moleküle besiedeln den bis dahin keimfreien Darm des Kindes offenbar mit Bakterien. „Babys haben keine Maschinerie, um diese Zucker zu verdauen, sie sind also eigentlich für die Bakterien - es ist wie ein Saatboden, und die Muttermilch ist der Dünger“, so Hennet gegenüber der Nachrichtenagentur „APA“. Im Laufe der Zeit verändere sich die Zusammensetzung der Zucker-Moleküle und damit auch Gesamtheit der Bakterien im Darm (Mikrobiom), welche nicht nur die Darmgesundheit selbst beeinflussen, sondern den gesamten Stoffwechsel des Kindes. Experten gehen beispielsweise davon aus, dass Darmbakterien in engem Zusammenhang mit Übergewicht (Adipositas) stehen könnten.

Auch zeigen jüngere Studien, dass Stillen positiv für die Entwicklung des kindlichen Immunsystems ist. Denn direkt nach der Geburt würden sich laut Hennet und Borsig besonders viele bioaktive Proteinen wie Antikörper, Cytokine, Defensine oder Lactoferrin in der Muttermilch befinden. Diese fungieren als eine Art Schutzschirm, denn sie bewahren das Baby so lange vor Krankheitserregern, bis dieses etwa nach einem Monat selbst die Abwehr übernehme. Ab da an gehe die Anzahl der mütterlichen Antikörper in der Milch deutlich zurück, ebenso verringere sich die Vielfältigkeit der Zucker-Moleküle. Der Fettanteil steige hingegen, wodurch das Wachstum des Kindes gefördert werde, so die Wissenschaftler weiter.

Kritiker sehen keinen Vorteil durch die Muttermilch

Das Thema „Stillen“ sorgt immer wieder für kontroverse Diskussionen. Kritiker sehen trotz der vielen positiven Effekte keinen Mehrwert durch die Muttermilch und betonen, dass sich Kinder auch ohne diese völlig normal entwickeln würden. Zudem wird immer wieder angeführt, dass Schadstoffe wie Schwermetalle oder Pestizide in die Milch gelangen und unter Umständen eine Gefahr für die Gesundheit der Säuglinge sein könnten. Erst kürzlich hatten z.B. verschiedene Medienberichte über den Fund von Glyphosat in Muttermilch für erhebliche Verunsicherung gesorgt. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatte hier jedoch Entwarnung gegeben, da einer aktuellen Studie zufolge kein Glyphosat nachgewiesen werden konnte.


Kommentar: Fragt sich, ob diese Entwarnung lediglich eine Beruhigungsmaßnahme war?


„Wir müssten vorsichtig damit sein, irgendwelche Empfehlungen zu geben“, sagte Hennet. „Auf der einen Seite ist Muttermilch das Produkt von Millionen Jahren Evolution und besitzt mit Sicherheit die optimalen Nährstoffe für ein Neugeborenes; aber die Frage ist: Wie lange braucht ein Neugeborenes diese Versorgung wirklich? Wir glauben, Familien sollten diese Entscheidung treffen - nicht Wissenschaftler“, so Hennet.

(nr)