Darmbakterien erkennen ihren Wirt an der Körpertemperatur
Labor, Forschung
© mmphoto/fotolia.comBakterien der Gattung Yersinia lösen beim Menschen unter anderem Entzündungen der Darmwand und schwere Durchfallerkrankungen aus. Erst ab einer bestimmten Temperatur können sich die Bakterien im Wirt ausbreiten und eine Erkrankung auslösen.

Bakterien nehmen die Umgebungstemperatur mit besonderen RNA-Strukuren wahr. In der Vergangenheit war es äußerst mühsam, sie in den Zellen aufzuspüren. Doch jetzt gibt es ein neues Verfahren.

Wissenschaftler entschlüsseln alle RNA-Strukturen eines Durchfallerregers

Forscher haben mit Hilfe moderner Hochdurchsatz-Sequenzier-Methoden alle RNA-Strukturen eines Durchfallerregers auf einmal entschlüsselt. Sie entdeckten dabei eine ganze Reihe von temperaturempfindlichen Strukturen, sogenannte RNA-Thermometer. „Bisher haben wir einzelne RNA-Thermometer immer nur nach langwieriger Suche gefunden und mühsam eines nach dem anderen untersucht“, erklärte Projektleiter Prof. Dr. Franz Narberhaus von der Ruhr-Universität Bochum in einer Mitteilung der Hochschule. Die Bochumer Wissenschaftler veröffentlichten ihre Ergebnisse gemeinsam mit Kollegen des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig und der Universität Leipzig in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences („PNAS“).

Bakterien können sich erst ab einer bestimmten Temperatur verbreiten

„Bakterien der Gattung Yersinia lösen beim Menschen unter anderem Entzündungen der Darmwand und schwere Durchfallerkrankungen aus. Auch der Erreger der Pest gehört zu dieser Gattung“, schreiben die Experten des Helmholtz-Zentrums auf ihrer Webseite. Die Wissenschaftler entdeckten verschiedene molekulare Schalter in Yersinia pseudotuberculosis, die bei einer Temperatur von 37 Grad Celsius ihre dreidimensionale Struktur verändern. Laut den Forschern können sich die Bakterien erst dann im Wirt ausbreiten und eine Erkrankung auslösen. Die identifizierten Strukturen bieten demnach Angriffspunkte für künftige Medikamente, die die temperaturabhängige Veränderung blockieren und so die Bakterien unschädlich machen.

Gefaltete RNA als Thermometer

Schon seit Jahren ist bekannt, dass bestimmte Darmbakterien, wie die hier untersuchte Yersinia pseudotuberculosis ihren warmblütigen Wirt an der Körpertemperatur erkennen. Die Bakterien verwenden hierzu gefaltete RNA-Strukturen, die ab einer bestimmten Temperatur aufschmelzen und dabei vorher unzugängliche Gensequenzen freilegen. Diese können dann laut den Wissenschaftlern in Proteine übersetzt werden, welche den Krankheitsverlauf steuern. Um solche Zell-Thermometer aufzuspüren, setzte das Forscherteam eine Kombination aus biochemischer RNA-Strukturkartierung und Hochdurchsatz-Sequenzierung ein. Sie entschlüsselten damit die über 1.750 in der Bakterienzelle enthaltenen RNA-Strukturen gleichzeitig. Den Angaben zufolge führten die Wissenschaftler das Experiment bei drei verschiedenen Temperaturen durch und erhielten jeweils einen Schnappschuss der RNA-Vielfalt.

Methode ist universell einsetzbar

„So konnten wir die dynamischen Veränderungen der RNA-Strukturen bei einem Temperaturanstieg zum Beispiel von 25 auf 37 Grad Celsius beobachten“, erläuterte der für dieses Projekt verantwortliche Doktorand am Bochumer Lehrstuhl für Mikroorganismen, Francesco Righetti. „Die von uns eingesetzte Technik ist aufwendig“, erklärte der Braunschweiger Forscher Dr. Aaron Nuss. „Sie hat aber riesiges Potenzial für alle, die an der biologischen Funktion von RNA-Strukturen interessiert sind.“ Es spiele dabei keine Rolle, ob man mit Bakterien, Pflanzen, Tieren oder menschlichen Zellen arbeite. Die Methode sei universell einsetzbar.

Große Anzahl temperaturabhängiger Gene

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine überraschend große Anzahl von Genen des Durchfallerregers Yersinia pseudotuberculosis direkt auf die Körpertemperatur des Wirtes reagiert“, sagte Franz Narberhaus. Für Folgeexperimente wählten die Experten 20 Gene aus, von denen 16 tatsächlich temperaturabhängig reguliert waren. Diese gehören verschiedenen funktionellen Gruppen an. Manche sind beispielsweise an der Antwort des Bakteriums auf oxidativen Stress beteiligt. „Es ist sinnvoll, solche Prozesse direkt nach dem Befall des Wirtes anzustoßen, um sich gegen die Abwehrmechanismen im menschlichen Magen-Darmtrakt zu rüsten“, so Prof. Dr. Petra Dersch, Infektionsbiologin aus Braunschweig. Derzeit laufende Untersuchungen sollen zeigen, ob die neu identifizierten RNA-Strukturen bei der Infektion eine entscheidende Rolle spielen. Darüber hinaus wollen die Wissenschaftler klären, ob es Wirkstoffe gibt, die das Aufschmelzen von RNA-Thermometern verhindern können. Diese könnten den Infektionsprozess hemmen.

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