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© DPAKirche St. Joseph in Salzgitter: Die Gemeinde ist fassungslos

Sonderkommission "Sünde" übernimmt

Ein katholischer Priester aus dem niedersächsischen Salzgitter hat gestanden, mehrere Minderjährige missbraucht zu haben, er sitzt in Untersuchungshaft. Schon im vergangenen Jahr stand der Mann unter Verdacht. Doch nach den Vorwürfen damals passierte: nichts.

Hamburg - Der Zugriff erfolgte schneller als zunächst geplant: Eigentlich wollten die Ermittler erst in dieser Woche gegen den Pfarrer der katholischen Gemeinde St. Joseph in Salzgitter vorgehen. Doch dann erfuhren sie, dass der 46-Jährige am Wochenende zu einer Jugendfreizeit in den französischen Wallfahrtsort Taizé aufbrechen wollte - und verloren keine Zeit mehr. Am Freitag, zwei Tage vor der Abfahrt, nahm die Polizei den Geistlichen fest.

Eine Mutter und ihr Sohn hatten ihn Ende Juni angezeigt. Der Vorwurf: sexueller Missbrauch. Laut Staatsanwaltschaft Braunschweig hat der Pfarrer die Taten im Wesentlichen zugegeben. Demnach missbrauchte er den Jungen mehrfach und über Jahre hinweg, zum ersten Mal 2004, als das Kind zehn Jahre alt war.

Die Taten geschahen, so die Staatsanwaltschaft, meistens in der Wohnung des Priesters. Der Mann soll der betroffenen Familie sehr nahegestanden haben, es soll auch gemeinsame Reisen gegeben haben. Wie häufig er sich genau an dem Jungen verging, ist noch unklar. Nach Angaben der Polizei hat er zudem gestanden, zwei weitere Minderjährige missbraucht zu haben. Eine Sonderkommission namens "Peccantia" (lateinisch für Sünde) hat die Ermittlungen übernommen.

In der Wohnung des Pfarrers stellte die Polizei Datenträger und Fotos sicher, die noch ausgewertet werden müssen - Unterlagen, die möglicherweise Hinweise auf weitere Taten liefern könnten. In der betroffenen Gemeinde St. Joseph ist der Schrecken groß. "Kein Kommentar", heißt es auf Anfrage, zu dem Fall möchte sich niemand mehr öffentlich äußern.

Die Gemeinde ist fassungslos

Besucher des Gottesdienstes am Sonntag berichten von Fassungslosigkeit. Vor der Kirche warteten schon die Kamerateams der Fernsehsender. Auf den Bildern ist die Verstörung der Menschen deutlich zu erkennen. Er sei "schockiert", sagt ein Mann, "ich kann es mir nicht vorstellen", sagt ein anderer. Der Priester genoss offenbar einen guten Ruf, auch in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

Laut "Braunschweiger Zeitung" versammelten sich am Montag Dutzende Menschen vor der Kirche. Einige forderten "Todesstrafe für Kinderschänder", andere demonstrierten für den Schutz der Kirchengemeinde. Auf Fragen von Reportern reagierten sie ablehnend bis feindselig, und auch untereinander war die Stimmung angespannt. Zu den konkreten Vorwürfen und der Person des Pfarrers schwiegen die Gemeindemitglieder.

Laut NDR arbeitete der Beschuldigte seit sieben Jahren in Salzgitter-Lebenstedt. Das zuständige Bistum Hildesheim drückte in einer Mitteilung "tiefes Bedauern" aus. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, "wäre dies eine furchtbare Verletzung von Vertrauen", sagt Weihbischof Heinz-Günter Bongartz.

Besonders pikant: Dem Bistum war schon im vergangenen Jahr ein Vorwurf gegen den Priester bekannt, wegen "angeblich distanzlosen Verhaltens", wie es in einer Pressemitteilung heißt. "Wir haben das damals von der Staatsanwaltschaft prüfen lassen, weil die beurteilen kann, was Sache ist", sagt Pressesprecher Michael Lukas.

Anfang 2010 seien der Staatsanwaltschaft Hildesheim "ein paar Bröckchen hingeworfen worden", bestätigt Sprecherin Christina Pannek. Es sei ein Mädchen begrapscht worden, habe es von Seiten der Kirche geheißen. Andere Anhaltspunkte habe es nicht gegeben. Die Kommunikation sei ausschließlich über das Bistum erfolgt. Die mutmaßlichen Geschädigten seien demnach nicht bereit gewesen, eine Aussage zu machen.

"Was hätten wir tun sollen?"

Wegen der fehlenden Aussagen der mutmaßlichen Geschädigten habe es kaum Informationen gegeben: Wo genau die mutmaßliche Tat stattgefunden haben soll, wer das mutmaßliche Opfer war, wie alt das Mädchen war und - vor allem - was genau geschehen sei. Bedeutete "grapschen" in diesem Fall beispielsweise, "über das Haar streichen oder den Po berühren?", fragt Pannek.

In dem Fall sei die Lage "deutlich weniger als unkonkret" gewesen. Es habe keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat gegeben. Deswegen sei der Fall zu den Akten gelegt worden.

Das Bistum sieht sich offiziell zwar schuldlos - ganz wohl fühlte sich die Kirche in dem Fall aber anscheinend nicht. Denn laut Bistumssprecher Lukas gab es nach den Vorwürfen vor einem Jahr Personalgespräche mit dem Geistlichen. "Wir haben den Pfarrer gebeten, sein Verhalten zu ändern." Welche Änderungen genau gewünscht wurden - dazu sagt Lukas nichts.

Weihbischof Bongartz sagt, er habe dem Pfarrer in einem persönlichen Gespräch klargemacht, wo die Grenzen im Umgang mit Jugendlichen lägen. Nach diesem Gespräch habe es keinen Grund mehr gegeben, den Pfarrer in seiner seelsorgerlichen Arbeit zu beschränken.

So wirkt es zumindest unglücklich, dass der Pfarrer weiter mit Jugendlichen verreisen durfte. "Was hätten wir tun sollen?", fragt Lukas, "auf welcher Faktenbasis hätten wir ihm das verbieten sollen?"

Die Fahrt nach Taizé wurde nun kurzfristig abgesagt. Das Bistum Hildesheim hat den Pfarrer inzwischen beurlaubt. Er sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Der Haftgrund lautet: Wiederholungsgefahr.

Mit Material von dapd