rechtspopulistische Partei FPÖ Österreich
© dpaDie rechtspopulistische FPÖ und ihr Chef Heinz Christian Strache (mi.)
In Österreich und Deutschland haben Politiker nach dem Putschversuch in der Türkei unerwartet heftige Attacken gegen türkischstämmige Bürger geritten. In Österreich wurde den Türken sogar die Ausreise nahegelegt. Die Reaktion der Österreicher: Ein übler Volkszorn, der sich unmittelbar im Alltag der Betroffenen niederschlägt. Murat Durdu von der Arbeiterkammer will die Entwicklung nicht einfach hinnehmen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was hat Sie im Verlauf der aktuellen Situation in Österreich besonders aufgeregt? Wir erleben Sie das Ganze?

Murat Durdu: Die Sozialdemokraten und Christdemokraten sind alle nach rechts abgedriftet. Innerhalb der österreichischen Bevölkerung kommt es zu Attacken gegen Menschen, die die Täter für „Muslime“ oder „Türken“ halten. Ich kann hier ein Beispiel anführen. Mein Vater und meine Mutter wollten in einem Restaurant gemeinsam etwas essen. Als mein Vater bezüglich eines Gerichts nachfragte, ob da Schweinefleisch sei, antwortete der Ober: „Wissen Sie eigentlich, in welchem Land Sie leben?“

Anschließend eskalierte die Lage. Insbesondere die erste Generation der Austro-Türken hat diese Behandlung schlichtweg nicht verdient. Das ist zutiefst ungerecht. Der Integrations- und Außenminister Sebastian Kurz und Bundeskanzler Kern - einschließlich der Parteien, sagen nicht nur, dass sie uns weghaben wollen. Sie meinen das, was sie sagen. Doch ich bin Österreicher, aber mit türkischen Wurzeln und kein Gastarbeiter. Ich bin Österreicher und weder Gast noch Arbeiter. Bei unserem Offenen Brief geht es nicht um Erdogan. Es ist eine Reaktion auf die Aufforderung der Politiker, Österreich zu verlassen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist die Stimmung gegenüber den Türken in Österreich besonders aufgeheizt?

Murat Durdu: Wir erhalten Berichte über verbale und physische Angriffe gegen Frauen mit Kopftüchern. Doch vieles sickert nicht durch, weil die Menschen keine Anlaufstelle haben. In den Schulen wird das Thema Erdogan offensiv thematisiert, was immer darin endet, dass die türkischstämmigen Schüler den Schikanen der Mitschüler und Lehrer ausgesetzt sind. Auch dort gibt es unter dem Vorwand der Erdogan-Kritik flächendeckende Übergriffe. Es findet eine totale Enthemmung statt, die durch die Politik genährt wird. Vorfälle, die noch vor wenigen Jahren unvorstellbar waren, sind mittlerweile Alltag. Allerdings kann man noch nicht von einer Pogromstimmung reden, da wir noch nicht um unser Leben fürchten müssen. Eine gezielte Verfolgung gibt es noch nicht. Schließlich kann man sagen, dass wahrscheinlich die Hälfte der Österreicher gegen diese Politik ist, und sie nicht mitträgt - auch wenn sie schweigen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Steckt vielleicht auch ein politisches Kalkül hinter der aktuellen Kampagne gegen die Austro-Türken?

Murat Durdu: Im Oktober soll ein neuer Bundespräsident gewählt werden. Es geht bei dieser Kampagne auch um diese Wahl und wir sind hier der Sündenbock, auf dessen Rücken alles ausgetragen wird. Den Politikern ist es völlig egal, ob sie dem inneren Frieden beschädigen. Sie wollen die Wahl gewinnen und wollen verhindern, dass die FPÖ den Kanzler stellt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was halten Sie von dem Aufruf der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, wonach die Deutsch-Türken ihre Loyalität zum deutschen Staat unter Beweise stellen sollen?

Murat Durdu: Ich denke, dass Frau Merkel vor allem innerparteilich zu dieser Aussage gedrängt wurde. Die türkischstämmigen Minderheiten in Deutschland und Österreich sind nicht illoyal. Dieser Vorwurf stimmt einfach nicht. Es gibt hier einen wichtigen Unterschied zwischen Merkels und Kerns Aussagen. In Österreich ist es nicht nur ein Spruch, sondern ein ernst gemeinter Aufruf, dass wir Österreich verlassen sollen. Merkel ist aber noch nicht so weit gegangen. Aus Sicht der österreichischen Politik sind „Türken nicht integrationsfähig“. Doch was heißt hier Integration? Wenn ich meinen Glauben, meine Lebensweise und meine Identität komplett aufgeben muss, um mich unterzuordnen, sind das Formen der Zwangsassimilation und keine Integration.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sind die Austro-Türken die größte Minderheit in Österreich?

Murat Durdu: Nein, es gibt mehr Ost-Deutsche und Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Es kann auch sein, dass die Ost-Deutschen, die sich in Österreich ansiedeln, mittlerweile zahlenmäßig mehr sind als die Ex-Jugoslawen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Können Sie uns kurz schildern, welches völlig subjektive tiefe Gefühl sie umtreibt?

Murat Durdu: Wissen Sie, wir wissen was in den 1920er Jahren in Österreich passiert ist, wie die Stimmung schrittweise gegen eine Gruppe aufgebaut wurde. Ganz ehrlich: Ich habe das Gefühl, dass ich jederzeit dazu verdammt werden könnte, mit einem gelben Halbmond auf der Brust herumzulaufen. In diesen Zeiten wünscht man sich, dass es nur einen einzigen in der Politik gibt, der aufsteht und sagt: „Hört nicht auf die. Ihr seid ein Teil von Österreich und Österreich ist ein Teil von euch.“

Murat Durdu ist der Generalsekretär der Vorarlberger Arbeiterkammer-Fraktion NBZ (Neue Bewegung für die Zukunft).