Im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf hat die AfD bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus die meisten Zweitstimmen geholt - hauchdünn vor der Linken. Die Wahl hat auch Ängste ausgelöst.
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Am Tag danach hängen die Plakate der Parteien noch an Laternenpfählen zwischen Supermarkt, Plattenbauten und China-Imbiss am östlichen Stadtrand von Berlin. Der Spruch auf dem AfD-Schild "Erst Schwerin, dann Berlin" ist bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus Realität geworden. Die Rechtspopulisten ziehen nun auch ins Landesparlament der Hauptstadt. Und im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf haben sie sogar die meisten Zweitstimmen erobert. Aber wo sind die AfD-Wähler? Warum haben sie sich so entschieden? Am Montag reden in dem Bezirk eher die anderen - und suchen nach Erklärungen.

Rentner Jürgen Köhler schüttelt empört den Kopf. "Das ist eine Sauerei, so hat der Nationalsozialismus angefangen." Der 78-Jährige hat nicht damit gerechnet, dass in seinem Bezirk die AfD mit 23,6 Prozent der Zweitstimmen stärkste Partei wird - ganz knapp vor der Linken- und dann noch zwei Direktmandate holt. Eine Partei, die einen Schießbefehl gegen Flüchtlinge ins Spiel bringe - "das kann doch nicht richtig sein". Köhler wohnt hier seit 1987 in einem sanierten Plattenbau. Zu hören ist, dass viele linke Wähler im Clinch mit AfD-Anhängern liegen.

"Berlin ist zur Partystadt verkommen"

Ein Stück entfernt hat am Eastgate - einem Einkaufscenter - ein 66-Jähriger eine andere Erklärung für die berlinweit 14,2 Prozent für die AfD: "Das ist alles Protest. Die Bewohner spielen doch keine Rolle mehr in der Politik. Berlin ist zur Partystadt verkommen." Ein 48-jähriger Außendienstler meint hingegen, die Wut über die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel(CDU) habe auch in Berlin zum AfD-Erfolg geführt. Jetzt sind die Rechtspopulisten in zehn Landesparlamenten vertreten.

Ein großer Teil des Bezirks mit heute knapp 260 000 Einwohnern wurde in der DDR im sozialistischen Wohnungsbau auf der grünen Wiese hochgezogen. Etliche Ältere, die als junge Familien damals eine der begehrten Plattenbauwohnungen mit Warmwasser und Zentralheizung bekamen, sind geblieben. Doch nach dem Mauerfall zogen auch viele weg, dafür kamen Tausende Russlanddeutsche. Inzwischen wohnen hier viele Menschen, die sich in der City keine Wohnung mehr leisten können. Doch auch Gebiete mit Einfamilienhäusern und Gärten gehören zu Marzahn-Hellersdorf.

AfD könnte sieben Stadträte stellen

Wiederholt geriet der Bezirk wegen Angriffen auf Flüchtlingsheime in die Schlagzeilen. In den sozial schwächeren Gegenden im Ostteil Berlins ist das AfD-Wählerklientel groß. Doch auch in den West-Bezirken Spandau, Reinickendorf und im multi-kulturellen Neukölln waren die Rechtspopulisten erfolgreich.
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Es seien nicht die Abgehängten, die AfD wählen, sagt Spitzenkandidat Georg Pazderski im rbb. Zu den künftigen Abgeordneten der AfD-Opposition gehören Ärzte, Ingenieure, Unternehmensberater. Geht es nach Pazderski, soll Berlin "ein Aushängeschild für die Regierungs- und Leistungsfähigkeit der AfD" werden. Den Wahlerfolg erklärt der frühere Militär so: "Was dem Bürger fürchterlich stinkt: dass er vor vollendete Tatsachen gestellt wird, dass er nicht gefragt wird."

Die Rechtspopulisten können mit 25 Abgeordneten ins Landesparlament einziehen. Fünf Politiker wurden direkt gewählt, neben den beiden in Marzahn-Hellersdorf auch in den Bezirken Lichtenberg, Pankow und Treptow-Köpenick. Rechnerisch kann die AfD sieben Stadträte in den zwölf Bezirksämtern stellen. Ob die anderen Parteien das verhindern und ob die AfD überhaupt genug Personal hat, ist noch offen.

AfD-Wähler: "Muss was übrig bleiben für die Deutschen"

Desinteresse oder Ignoranz wie bei Passanten am Eastgate ("Interessiert mich nicht" oder "dazu sag ich nichts") dürften aus Expertensicht nicht weiterhelfen, um mit dem politischen Phänomen AfD umzugehen. Politikwissenschaftler Hajo Funke meint, die Partei könnte durch ein linkes Regierungsbündnis entzaubert werden. Dafür müssten SPD, Grüne und Linke eine "gute Sozial-, Flüchtlings- und Wohnungspolitik machen" - das, was der rot-schwarze Senat nicht geschafft habe.

Am Helene-Weigel-Platz in Marzahn outet sich dann doch noch ein AfD-Wähler. "Ich hab nichts gegen Ausländer. Aber die Kriminellen müssen raus. Und es muss was übrig bleiben für die Deutschen - für Rentner und Kinder", sagt der 47-jährige Händler, der Werbung für Parfüm macht. Früher habe er SPD gewählt.

nbu/dpa