Das menschliche Gehirn hat sich im Lauf der Evolution offenbar an die Lichtverhältnisse angepasst: Menschen aus dem hohen Norden besitzen ein größeres Sehzentrum - und damit ein größeres Gehirn als Menschen aus Äquator-Gegenden. Die Anpassung erfolgte überraschend schnell.
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© dapd/ Eiluned Pearce Historischer Schädel: Größe des Sehzentrums weist auf Wohnort hin

Oxford - Die Größe unseres Gehirns ist ein guter Hinweis dafür, woher wir kommen: Menschen, die im hohen Norden Europas oder Asiens leben, besitzen mehr Gehirnvolumen als Menschen aus Gegenden näher am Äquator. Diesen überraschenden Zusammenhang haben jetzt britische Forscher entdeckt.

Für ihre Studie vermaßen sie die Schädel und Augenhöhlen von zwölf verschiedenen Völkern aus unterschiedlichen Regionen. Dabei zeigte sich, dass Augengröße und Gehirnvolumen mit dem Breitengrad des Landes zunahmen, aus dem der Schädel stammte, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal Biology Letters. Die größten Augen und Gehirne besaßen demnach Skandinavier, die kleinsten hatten Einwohner Mikronesiens.

"Größere Gehirne zu besitzen, bedeutet aber nicht, dass Menschen aus höheren Breiten klüger sind. Es bedeutet nur, dass sie dort, wo sie leben, größere Gehirne benötigen, um besser sehen zu können", sagt die Anthropologin Eiluned Pearce von der University of Oxford. Im hohen Norden sei es länger dunkel und auch tagsüber weniger hell und sonnig als nahe am Äquator. Um dies zu kompensieren, entwickelten die Menschen der höheren Breiten größere Augen und ein größeres Sehzentrum im Gehirn.

Nach Ansicht der Forscher erfolgte diese anatomische Anpassung unerwartet schnell: "Menschen leben erst seit einigen zehntausend Jahren in den hohen Breiten Europas und Asiens. Trotzdem scheinen sie ihr visuelles System überraschend schnell an die bewölkten Himmel, das düstere Wetter und die langen Winter dieser Breiten angepasst zu haben", sagt Robin Dunbar, Direktor des Institute of Cognitive and Evolutionary Anthropology der University of Oxford.

Der frühe Vogel hat die größeren Augen

Dass die Augengröße mit der Lebensweise zusammenhängt, ist schon länger bekannt: Vögel, die morgens als erstes noch halb im Dunkeln singen, haben größere Augen als Spätstarter. Affen, die nachts nach Nahrung suchen, sieht man dies ebenfalls an den Augen an. Die größeren Augen erhöhen den Lichteinfall auf die Netzhaut und ermöglichen damit eine gute Sicht auch bei wenig Licht.

Ob auch beim Menschen ähnliche Anpassungen vorhanden sind, war bisher unbekannt. Ein erstes Indiz dafür entdeckten die Oxforder Wissenschaftler in gut 100 Jahre alten Daten zweier britischer Forschungsreisen nach Südostasien und Australien. Damalige Messungen zeigten, dass die Bewohner verschiedener geografischer Breiten trotz unterschiedlich intensiven Tageslichts genauso scharf sehen konnten.

In der aktuellen Studie untersuchten Pearce und ihr Kollege Robin Dunbar 55 rund 200 Jahre alte Schädel aus Museumsbeständen. Die Schädel stammten unter anderem aus Skandinavien, Frankreich, China, Uganda, Mikronesien und den USA. Die Forscher wählten jeweils drei Schädel pro Land, um Durchschnittswerte zu erhalten.

Die Augenhöhlen vermaßen sie, indem sie diese mit millimetergroßen Glaskügelchen ausfüllten und das Volumen der Kugelmenge bestimmten. Für das Schädelvolumen nutzten die Forscher Wachsperlen von fünf mal zwei Millimetern Größe. Parallel dazu ermittelten sie die durchschnittliche Tageshelligkeit und Temperatur für die Fundorte der Schädel. "Wir haben festgestellt, dass das Volumen signifikant mit dem Breitengrad ansteigt, und zwar unabhängig von Volkszugehörigkeit und Körpergewicht'", schreiben die Forscher in ihrem Artikel.

cib/dapd