Mittelitalien wurde von extremen Erschütterungen getroffen, Ortschaften sind zerstört. Die meisten Menschen konnten sich retten - dank eines geologischen Zufalls.
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© Google/ AFPVor dem Beben und danach: Ein Wohnblock in Borgo Sant'Antonio
Zwei gewaltige Erdbeben haben am Mittwochabend Mittelitalien erschüttert - und das zweite war so ziemlich das gefährlichste Beben, das dort geschehen kann.

Es ließ den Boden weiträumig so stark wackeln wie das verheerende Beben, das die südliche Nachbarschaft der Region im August erschütterte und 300 Todesopfer gefordert hatte. Das Ruckeln war auch ähnlich heftig wie in Haiti im Januar 2010, als mehr als hunderttausend Menschen bei Erdstößen starben*.

Diesmal aber wurden weitaus weniger Menschen verletzt, als angesichts der Erschütterungen und Schäden zu vermuten wäre. Ein geologischer Zufall war die Ursache.
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© INGV Terremoti
Zwar wurden zahlreiche Ortschaften in der bergigen Region Umbrien schwer getroffen, Hunderte Gebäude schwer beschädigt. Seine Stadt sei "erledigt", sagte der Bürgermeister von Ussita, angesichts der Zerstörungen.

Doch die meisten Bewohner blieben anscheinend unverletzt. Sie waren von dem ersten Beben um kurz nach 19 Uhr gewarnt und hielten sich im Freien auf. Sie hatten ihre Häuser verlassen, um in ihren Autos zu übernachten, als um 21:18 Uhr der schwerste Schlag folgte.

Das zweite Beben, vielfach stärker noch als das erste, riss beschädigte Bauten ein, Betondecken kollabierten. Tausende sind nun obdachlos.

Noch in Bayern zitterte merklich der Boden

Vor allem kleinere Ortschaften sind betroffen: Castelsantangelo sul Nera, Fluminata, Valle e Castello, Visso, Montemonaco, Trebbio, wo jeweils nur etwa tausend Menschen wohnen. Laut Erdbebendiensten waren 21.000 Menschen extremen Erschütterungen ausgesetzt.

Die nächstgrößere Stadt aber, Perugia mit 150.000 Einwohnern, liegt 60 Kilometer vom Bebenzentrum entfernt - sie erzitterte nur mäßig. Bis nach Bayern hatten Menschen die Erdstöße gespürt.

Geoforscher hat das Beben nicht überrascht: Es ereignete sich exakt dort, wo sie es prophezeit hatten - zwischen den Erdbebengebieten vom August dieses Jahres und von 1997, als ein Starkbeben die nördlich gelegene Region um Colfiorito verwüstete.

Eine sogenannte seismische Lücke, also eine Erdbebenlücke, hätte geklafft zwischen beiden Bebengebieten, hatten Forscher gewarnt: Seit 157 Jahren hatte es nicht mehr stark gebebt in der nun betroffenen Region. Es musste also irgendwann wieder passieren - den Zeitpunkt kann allerdings niemand vorhersagen.
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© Temblor.netSeismische Lücke ("Gap") zwischen den Beben von 1997 und August 2016
157 Jahre hatten sich die tektonischen Bewegungen unter Umbrien fortgesetzt - der Boden Italiens steht unter Druck: Von Süden presst die Afrikanische Erdplatte Italien wie einen Sporn in den Europäischen Kontinent, sodass sich in der Knautschzone die Alpen türmen - sie heben sich einen Millimeter pro Jahr.

Eine Felsplatte ist abgerutscht

Im Westen drückt Europa: Korsika, das auf der Europäischen Platte liegt, bewegt sich mit drei Millimetern pro Jahr auf Italien zu. Der Druck hat den Apennin einerseits aufgefaltet, das Gebirge durchzieht das stiefelförmige Italien der Länge nach.

Andererseits rutscht das Apennin-Gebirge langsam auseinander. Mittwochabend hielt der Felsboden dort der Spannung, die sich in 157 Jahren unter Umbrien aufgestaut hatte, nicht mehr stand, er brach - und bebte. Die Daten der Bebenwellen zeigen, dass eine Felsplatte im Untergrund abgerutscht ist.
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© Google/ dpaVor dem Beben und danach: Häuser in Camerino
Das Beben vom August hat die beiden Stöße vom Mittwoch vermutlich mitverursacht: Berechnungen der Spannung im Untergrund nach dem Augustbeben hatten gezeigt, dass das Gestein nach Norden gerutscht war - und dort die Spannung im Boden vergrößert hatte. Manche Seismologen bezeichnen die neuerlichen Schläge deshalb als Nachbeben vom August.
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© INGV TerremotiSpannungsänderung nach den Augustbeben: Gelbe und rote Bereiche auf der Landkarte zeigen erhöhte Spannung auch im Bereich der aktuellen Beben
Die Bewohner der aktuell betroffenen Region jubeln über den Warnschuss der Erde - sie meinen das erste Beben, gestern kurz nach 19 Uhr, das viele Leben rettete. Dass Beben Warnschüsse sein können, stellt sich immer erst im Nachhinein heraus, die meisten Starkbeben ereignen sich ohne Vorbeben, als systematisches Alarmsignal taugen sie nicht.

In Mittelitalien aber könnten Vorbeben häufiger sein als anderswo, meint der renommierte Seismologe Ross Stein von der Stanford University in den USA: Das Apennin-Gebirge habe erst in geologisch junger Vergangenheit - vor etwa 500.000 Jahren - begonnen, auseinanderzurutschen.

Forderung der Ingenieure

Die Erdbebennähte im Untergrund seien deshalb vermutlich weniger gut eingefahren, weniger glatt. Die Folge: Gerät der Boden in Bewegung, kracht es mitunter gleich mehrmals heftig - so wie Mittwochabend.
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© Google/ AFPVor dem Beben und danach: Kirche in Ussita
Stärkere Beben als in Mittelitalien gibt es in Regionen, wo sich Erdplatten übereinander schieben, etwa vor den Küsten des Pazifik. Dort sind tausendmal heftigere Schläge als jene in Italien keine Seltenheit. Indes: Sie ereignen sich gewöhnlich in größerer Tiefe.

Die Beben in Mittelitalien aber geschehen wie am Mittwoch oft nahe dem Erdboden. Die Erdoberfläche kann deshalb ebenso stark ruckeln wie bei weitaus stärkeren Beben in großer Tiefe. Umso wichtiger ist es, die Gebäude in Italien besser gegen extreme Erschütterungen abzusichern, wie es Ingenieure und Architekten des Landes seit Langem fordern.