Zigaretten
© dpaViele Sozialhilfeempfänger müssen mit dem Klischee leben, dass sie ihre finanziellen Zuwendungen nur in Alkohol und Zigaretten anlegen. In der Slowakei nimmt die Politik dieses Vorurteil auf - und plant eine neue Kontroll-Karte.

"Die geben doch eh alles für Alkohol und Tabak aus": Mit solchen Klischees müssen sich viele Sozialhilfeempfänger herumärgern. In der Slowakei werden die Vorurteile jetzt Regierungspolitik. Mit einer neuen elektronischen Karte will der Staat kontrollieren, wo und für was die Sozialhilfe verwendet wird - und sogar Tageslimits einführen.

Angesichts des Kontrollwahns mancher Politiker fühlen sich viele Menschen schon längst als gläserne Bürger, über die der Staat viel zu viel weiß. Und doch sind die Grenzen der Überwachungsmöglichkeiten offenkundig noch nicht erreicht - wie ein aktuelles Beispiel aus der Slowakei zeigt.

Denn die dortige Regierung möchte demnächst bei manchen der insgesamt 180.000 Sozialhilfeempfänger penibel kontrollieren, für was sie ihre staatliche Unterstützung ausgeben. Nicht bei allen, aber bei jenen, "die nicht gut mit Geld umgehen und die Hilfe eines Sozialarbeiters benötigen", wie eine Sprecherin des Arbeitsministeriums sagt.

In fünf Städten startet im Herbst die Testphase einer sogenannten "E-Pay-Card". Die finanzielle staatliche Unterstützung gibt es dann nicht mehr in bar, sondern als Überweisung auf eine spezielle Chipkarte, mit der die Sozialhilfeempfänger anschließend Wasser, Brot und die Busfahrkarte kaufen können. "Sozialhilfe ist Geld des Staates", sagt die Sprecherin. "Deshalb hat der Staat ein Recht darauf, die Verwendung zu kontrollieren." Man wolle so den Missbrauch von Transferleistungen verhindern.

Wer in dem 5,5-Millionen-Einwohner-Staat Sozialhilfe beantragen muss, ist schon jetzt arm dran. Ein Alleinstehender bekommt gerade mal 60,50 Euro pro Monat, eine Familie mit zwei Kindern 157,60 Euro - bei einem landesweiten Durchschnittslohn von rund 750 Euro. Jetzt müssen manche von ihnen auch noch mit der rigiden Kontrolle zurechtkommen. Und die Regierung in Bratislava möchte es nicht bei den Kontrollen belassen, sondern denkt zugleich auch über Konsequenzen nach.

Ihr Plan: Die Sozialarbeiter sollen die Nutzung der Karten exakt nachverfolgen. Und wenn sie dabei feststellen, dass in einer Familie mit zwei Kindern schon am ersten Tag des Monats alles Geld für Alkohol und Tabak draufgeht oder es zu anderen aus ihrer Sicht auffälligen Einkäufen kommt, können sie reagieren - und ein Tageslimit festsetzen. Dann darf der slowakische Sozialhilfeempfänger die monetären Zuwendungen nur gestückelt ausgeben. "Unser Ziel ist es, dass sozial benachteiligte Personen ihre finanzielle Unterstützung effektiv einsetzen", begründet die Sprecherin die Entmündigung der Sozialhilfeempfänger. "Und solche Restriktionen bewahren uns davor, dass die Kinder am Ende des Monates nichts mehr zu essen haben."

So mancher Hardliner unter den deutschen Sozialpolitikern mag bei einem derartigen Projekt die Chance auf einen neuen populistischen Vorstoß wittern. Doch dieser Vorstoß wäre nicht nur populistisch - sondern auch unnütz. Denn in Deutschland sind solche Karten, solche Kontrollen und solche Restriktionen undenkbar.

Diskriminierung der Roma-Minderheit?

Erstens würde das slowakische System ein komplettes Bewegungsbild von einzelnen Personen erlauben und somit gegen das Datenschutzrecht verstoßen. Zweitens gelten für die Empfänger staatlicher Leistungen die Prinzipien Selbständigkeit und Eigenverantwortung. "Die zwangsweise Preisgabe aller mit Konsum verbundenen Ausgaben ist indiskutabel. Die darin enthaltene Unterstellung, dass die Menschen, die Sozialhilfe beziehen, nicht mit Geld umgehen können, beinhaltet per se einen Angriff auf die Menschenwürde", sagt Jürgen Borchert, Vorsitzender des sechsten Senates des hessischen Landessozialgerichtes.

Diese Punkte spielten im Sozialbereich zuletzt eine Rolle, als es im vergangenen Jahr um die Einführung einer sogenannten Bildungs-Chipkarte für die Kinder aus Hartz-IV-Familien ging. Dabei war das von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) präferierte Konzept weit entfernt von den Überlegungen in Bratislava: Es sah lediglich vor, mit der Karte beispielsweise Mitgliedsbeiträge für Fußballvereine oder Gebühren in der Bibliothek zu bezahlen - ein Bewegungsprofil hätte man daraus nicht ablesen können. Zum neuen Konzept der Bratislavaer Regierung wollte sich das Bundesarbeitsministerium nicht äußern.

Auch in der Slowakei ist die E-Pay-Card umstritten. Kurz vor der Einführung sind noch viele Fragen offen, die nach der konkreten Umsetzung, die nach dem konkreten Tageslimit, selbst die nach dem konkreten Beginn. Und Bürgerrechtler vermuten hinter dem Projekt ohnehin noch einen ganz anderen Gedanken: eine weitere Möglichkeit, die Roma-Minderheit im Land zu diskriminieren. Zwischen fünf und zehn Prozent der Bevölkerung gehören dieser ethnischen Volksgruppe an, mehr als die Hälfte von ihnen ist nach Informationen des Deutschland-Radios auf Sozialhilfe angewiesen.