Vor 20 Jahren startete in Peru das "Nationale Programm für Reproduktive Gesundheit und Familienplanung". In dessen Folge wurden mehr als 300.000 Frauen und etwa 25.000 Männer zwangssterilisiert - ein Verbrechen, das weitgehend ungesühnt blieb.
Protest Zwangssterilisierung Peru
© Aaron Heredia / dpaOffener Protest: Bis heute kämpfen Frauen für eine Entschädigung der Opfer von Zwangssterilisationen.
LIMA. Was Alberto Fujimori, von 1990 bis 2000 Präsident Perus, zu Beginn seiner zweiten Amtszeit als Programm zur Verbesserung der Mütter- und Kindergesundheit sowie Initiative gegen die weit verbreitete Armut in seinem Land bezeichnete, nannte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Jahre später eines der schlimmsten jemals verübten Verbrechen auf dem amerikanischen Kontinent. Fujimori versprach, das Bevölkerungswachstum auf maximal zwei Prozent pro Jahr zu senken.

Frauen sollten statt im Mittel 3,6 Kinder nur noch 2,5 Kinder auf die Welt bringen. Das AQV-Programm stand für "Anticoncepción Quirúrgica Voluntária", auf Deutsch "Freiwillige chirurgische Empfängnisverhütung".

Von Freiwilligkeit jedoch konnte keine Rede sein: Zunächst lockte man die Frauen zu einem "Gesundheitscheck". Dann wurden sie zur Sterilisation überredet oder genötigt, andere dazu gezwungen oder sogar ohne ihr Wissen sterilisiert - in der Regel ohne Narkose oder Nachbehandlung.

Eingewilligt per Fingerabdruck

Das Programm startete 1996 und währte fünf Jahre. Im Fokus standen indigene Frauen, die bereits vier oder mehr Kinder hatten und in entlegenen Regionen wie dem Anden-Hochland lebten.

Viele von ihnen waren Analphabeten und nur der indigenen Sprache Quechua mächtig. Informationen zur bevorstehenden Sterilisation gab es, wenn überhaupt, nur auf Spanisch. Die meisten Frauen erteilten ihr Einverständnis per Fingerabdruck - ohne jedwede Kenntnis dessen, was ihnen bevorstand.

Nach Informationen von Engagement Global, einer gemeinnützigen, vom Bundesentwicklungsministerium geförderten Gesellschaft für entwicklungspolitische Initiativen, haben die Behörden viele Frauen sogar mit körperlicher Gewalt zur Sterilisation gezwungen.

Eines der Opfer war Micaela Flores, Mutter von sieben Kindern, die man mit anderen Frauen zu einem Lieferwagen führte. "Wir traten ohne Misstrauen ein", dokumentiert Engagement Global ihre Aussage. "Aber wir hörten Schreie, und ich rannte weg."

Mitarbeiter fingen die Frau wieder ein. "Sie trugen mich auf einer Trage, fesselten meine Füße, und dann schnitten sie mich auf."

Für jede Sterilisation erhielten die beteiligten Ärzte und Helfer von der Regierung vier bis zehn Dollar Belohnung, bei Nichteinhaltung der Quoten riskierten sie hingegen Strafen.

Das Ausmaß der menschenverachtenden Eingriffe wurde erst 2002 publik, als das peruanische Gesundheitsministerium auf Druck mehrerer Frauenrechtsorganisationen einen Bericht vorlegte, wonach zwischen 1996 und 2000 etwa 331.600 Frauen per Tubenligatur sterilisiert worden seien.

Von der Gemeinschaft verstoßen

Offiziellen Angaben zufolge starben 18 Frauen bei dem Eingriff, doch die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich sehr viel höher. Zudem unterzog man 25.590 Männer einer Vasektomie. Viele Frauen litten nach dem Eingriff Jahre lang unter Schmerzen und Blutungen, konnten infolgedessen nicht mehr auf den Feldern arbeiten und wurden von ihren Männern oder von der Dorfgemeinschaft verstoßen.

Frauenrechtsorganisationen kämpfen seit langer Zeit für eine Verurteilung der Verantwortlichen und eine Entschädigung der Opfer. In ihrem Fokus stehen außer Fujimori drei seiner ehemaligen Gesundheitsminister sowie Hunderte von Ärzten und Gesundheitsmitarbeitern.

Bis heute wurden jedoch nur vier Ärzte verurteilt, gegen sechs weitere leitete man Untersuchungen ein. Ein einziges Opfer erhielt bislang eine Entschädigung. Fujimori sitzt seit 2007 eine 25-jährige Haft ab - allerdings wegen anderer Delikte (Anordnung eines Einbruchs und Diebstahls, Einsatz von Todesschwadronen, Korruption).

Ein Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten wegen Anordnung der Zwangssterilisationen stellte das Gericht 2014 ein - aus Mangel an Beweisen.