Ein bisschen kauzig, aber unauffällig: Attentäter Anders Behring Breivik hatte sich gut getarnt. Trotzdem fragen sich jetzt viele Norweger, warum die Polizei ihm nicht auf die Spur kam. Die Geheimdienstchefin weist jede Kritik an ihrer Behörde zurück: "Nicht einmal die Stasi hätte diese Person aufgespürt."
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© REUTERSPolizisten durchsuchen den Hof von Anders Behring Breivik südlich des Städtchens Rena, 170 Kilometer nordöstlich von Oslo.

Ein bisschen kauzig ist Anders Behring Breivik offenbar gewesen. Das hat Bauer Svein Meldieseth sofort gemerkt. So erklärte ihm der neue Nachbar kurz nach dem Einzug, Meldieseth dürfe ihn auf keinen Fall unangemeldet besuchen, er müsse immer vorher anrufen. "Wenn ich dann da war, empfing er mich draußen vor dem Haus und sperrte die Tür hinter sich ab", erzählte Meldieseth nun der Lokalzeitung Østlendingen. "Nun, im Nachhinein, habe ich mir natürlich gedacht, dass das verdächtig war."

Meldieseth pachtete von Breivik einen Acker. Dieser erklärte, er wolle das Feld nicht selbst bewirtschaften, später aber vielleicht Möhren und Kartoffeln dort anbauen. Dass Breivik die Landwirtschaft nur als Vorwand für den Kauf von Düngemitteln nutzte, hat Bauer Meldieseth natürlich nicht geahnt. Ebenso wenig, dass sein Nachbar hinter verschlossenen Türen aus dem Dünger Sprengstoff braute und die Munition für seine Glock präparierte, um sie in tödliche Dumdumgeschosse zu verwandeln. Niemand ahnte es.

Jetzt aber, da immer mehr Details über Breiviks Vorbereitungen bekannt werden, fragen sich viele Norweger, ob die Tat, die 76 Menschen das Leben kostete, vielleicht hätte verhindert werden können. Schließlich hat der Täter große Mengen Chemikalien und anderes Gerät eingekauft. Außerdem bewegte Breivik sich in rechtsextremen Kreisen. Warum fiel er nicht auf? Kritik richtet sich nun vor allem gegen den norwegischen Geheimdienst PST, der für die Terrorbekämpfung zuständig ist.

Breivik selbst hat eine detaillierte Beschreibung seiner Vorbereitungen hinterlassen. Glaubt man ihm, dann hat er per Internet Zubehör auf der ganzen Welt bestellt, um seine Mordgeräte zu basteln. Er will versucht haben, in Prag illegal Waffen zu kaufen. Chemikalien und Bombenteile hat er demnach unter anderem aus China, Polen und den USA bezogen, Werkzeuge und Waffenteile aus Norwegen. Insgesamt soll er sechs Tonnen Düngemittel erstanden haben.

Nebenbei widmete sich der mutmaßliche Attentäter nach eigenen Angaben der Netzwerkpflege. In Liberia will er einen serbischen Kriegsverbrecher getroffen haben, den er bewunderte. Außerdem schreibt der 32-Jährige, er habe Kontakt zu anderen Extremisten aufgenommen - unter anderem in den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Ungarn, Russland. Die Ermittler müssen nun feststellen, was daran wahr ist und was nur Angeberei eines Mannes, der sich selbst für einen Helden hält.

Vier Magazine und eine Schnellladevorrichtung

Ein paar Spuren aus Breiviks Manifest führten bereits zum Ziel. Der Zeitung Aftenposten zufolge hat zum Beispiel das norwegische Unternehmen Capiscum bestätigt, dass Breivik im November vier Magazine und eine Schnellladevorrichtung für seine Glock erwarb. Die Firma Intersport bestätigte, dass der mutmaßliche Massenmörder im Oktober vergangenen Jahres einen Schalldämpfer für sein Gewehr kaufte. Allerdings gab er ihn später wieder zurück; angeblich passte das Teil nicht.

Im Frühjahr holte Breivik dann im schwedischen Karlstad eine Sendung mit insgesamt 150 Kilo Aluminium ab, das er für seinen Sprengsatz brauchte, berichtete die Zeitung Göteborgsposten. In Polen durchsuchte die Polizei am Montag das Büro eines Internethändlers, bei dem der Norweger 100 Kilo Natriumnitrit bestellt hatte. Breivik bastelte daraus vermutlich den Zünder für die Bombe. Die Behörden betonten, der Verkauf sei legal gewesen.

Ähnlich ist es mit den anderen Einkäufen: nichts davon ist ungesetzlich. Selbst seine beiden Feuerwaffen besaß der Täter rechtmäßig, denn er hatte - wie viele Menschen im jagdbegeisterten Norwegen - einen Waffenschein. Diesen Umstand führt der Geheimdienst PST nun zu seiner Verteidigung ins Feld.

Geheimdienstchefin Janne Kristiansen hatte sich bislang in der Sache äußerst zurückgehalten, bei den Pressekonferenzen der Polizei war sie nie anwesend. Am Dienstag erschienen nun erstmals längere Interviews mit Kristiansen. Die PST- Chefin weist darin jede Kritik an ihrer Behörde zurück.

Die Einkäufe Breiviks und seine Waffenleidenschaft seien nicht ausreichend für einen Verdacht gewesen, erklärte sie Aftenposten. "Ich kenne viele Bergbauern. Die kaufen viel Dünger und haben bedeutende Mengen Waffen. Aber ich glaube nicht, dass ein Bauer Wert darauf legen würde, dass er aufgrund dieser Kombination in unser Register aufgenommen wird." Sie glaube, "nicht einmal die Stasi hätte diese Person aufgespürt - nach dem, was wir heute wissen".

Ein paar Unterschiede zwischen Breiviks Verhalten und dem eines Bergbauern sind inzwischen freilich doch entdeckt worden. Da wäre zum einen sein Interesse für Rechtsradikale. Breivik pflegte offenbar Internetkontakte zu antiislamischen Gruppierungen wie der Norwegian Defense League (NDL), der English Defense League (EDL) und auch der British National Party (BNP).

Die beiden letzteren Organisationen soll er, unbestätigten Berichten zufolge, auch in Großbritannien besucht haben. EDL und BNP bestreiten dies jedoch. Und auch dem Geheimdienst ist nichts aufgefallen. "Er erschien wie ein extrem gesetzestreuer Bürger", sagte PST-Chefin Kristiansen.

Bei aller Kritik gibt es in Norwegen auch viel Verständnis für die schwierige Arbeit der Fahnder. Justizminister Knut Storberget lobte am Dienstag ausdrücklich deren "phantastische Arbeit". Und die Beamten der Osloer Polizei, die versuchen, in der Hauptstadt wieder für Ruhe zu sorgen, sind für viele Norweger Helden. Streifenbeamte, die am Montag die große Gedenkveranstaltung sicherten, wurden oft mit lautem Applaus begrüßt.

SZ/afis