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Das Oberhaupt der Hunkpapa-Lakota-Sioux, Sitting Bull, und Offizier George Armstrong Custer vom 7. US-Kavallerie-Regiment.
Der aktuelle Protest der "Standing Rock Sioux" gegen die North Dakota Pipeline am Rande ihres Reservats steht in einer leidvollen Tradition des Kampfes der „First Nations“ um Land, Würde und Leben. In den vergangenen Jahrhunderten kämpften die ursprünglichen Einwohner Amerikas zahllose Schlachten.

Das 3,7 Milliarden US-Dollar teure "Dakota Access Pipeline Project" sieht vor, auf einer Länge von 1.170 Meilen Rohöl von den expandierenden Ölfeldern in North Dakota nach Illinois zu leiten. Nach Angaben von Dakota Access, einer Tochtergesellschaft der Energy Transfer Crude Oil Company, sollen während der Konstruktionsphase der Verbindung 8.000 bis 12.000 Arbeitsplätze entstehen und auf diese Weise die Unabhängigkeit der USA von ausländischen Ölimporten weiter verringert werden.

Unter der Beteiligung etwa 200 Angehörigen weiterer indigener Stämme leisten Aktivisten der "Standing Rock Sioux" jedoch aktuell erbitterten Widerstand, um die Verlegung der Öl-Pipeline unter Teilen des Missouri Rivers zu verhindern.

Auch wenn es sich bei dem beanstandeten Teilabschnitt um ein Gebiet knapp außerhalb des ihnen zugedachten Reservats in Cannon Ball, North Dakota handelt, befürchten die Aktivisten sowohl die Entweihung heiliger Stätten als auch die Kontaminierung des Trinkwassers durch den Austritt von Rohöl.

Die jüngsten Konflikte sind auch durch die Tatsache geprägt, dass sich erstmals seit über 100 Jahren die indigenen Völker der USA in derart großer Zahl vereinigt haben, um gemeinsam für ein Anliegen zu streiten.

Allmählich findet der Konflikt - wenn auch nur zaghaft - in die westlichen "Qualitätsmedien" Eingang. Die Zusammenstöße zwischen den Vertretern der indigenen Völker, tausenden Sympathisanten und der örtlichen Polizei verweisen dabei jedoch auf ein leidvolles Erbe des Kampfes der "First Nations" gegen Unterdrückung und Vertreibung.

Auch wenn das "Western"-Genre Hollywoods die "Indianerkriege" des 19. Jahrhunderts gerne romantisch verklärt, hat das durch Autoren wie James Fenimore Cooper und Karl May geprägte populäre und von diversen Filmern weiter verzerrte Bild des "Wilden Westens" so gut wie nichts mit der Realität gemein. Eine weitere Suggestion, den die entsprechende Filmindustrie vermittelt, nämlich, dass der Kampf gegen Unterdrückung und Vertreibung der amerikanischen Ureinwohner spätestens mit der Gefangennahme und Ermordung "Sitting Bulls" und seiner letzten Getreuen beendet wurde, ist ein wohl gut kalkulierter Trugschluss.

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Der Schauspieler John Wayne als Westernheld.
Angesichts der vielmehr seit dieser Zeit andauernden Geschichte der Entrechtung und Entwürdigung der Native Americans findet der MSNBC-Reporter Lawrence O'Donnell folgende Worte:
Dieses Land wurde auf dem Genozid gegründet. Als wir endlich aufhörten, die Ureinwohner nur wegen ihres Verbrechens umzubringen, dass sie hier schon vor uns lebten, haben wir jedes einzelne Abkommen, das wir mit ihnen schlossen, wieder gebrochen. Jedes einzelne.
Wohl nur in diesem Zusammenhang lässt sich die Dimension auch des aktuellen Widerstands richtig einordnen. Der Kampf begann mit dem Eintreffen der ersten europäischen Siedler und ist bis zum heutigen Tage nicht beendet.

Während das Vordringen der europäischen Siedler in Nordamerika von millionenfachem Tod von Frauen, Männern und Kindern aufseiten der indigenen Völker begleitet war, ist deren aktuelle Situation zum allergrößten Teil nach wie vor geprägt von Verzweiflung und Marginalisierung.

So gehört die Zahl von Todesfällen aufgrund von Drogenmissbrauch, Perspektivlosigkeit, häuslicher Gewalt, Armut und Entwurzelung in den indigenen Communitys Nordamerikas zu den höchsten weltweit. Erst im Oktober 2015 erhängte sich das zwölfjährige Mädchen Sheridan Hookimaw in Attawapiskat, Provinz Ontario [Kanada], was zu einhundert weiteren Selbsttötungen oder Selbstmordversuchen - die meisten begangen von Teenagern - in der 2000 Seelen zählenden Kleinstadt führte.

Von den schätzungsweise 60 Millionen Ureinwohnern Nord- und Südamerikas, die zum Zeitpunkt der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus im Jahr 1492 gelebt hatten, waren 1600 nur noch zehn Prozent übrig, wobei vor allem aus Europa eingeschleppte Seuchen auf dem gesamten Kontinent zu einem massenhaften Sterben beitrugen.

Auf dem Gebiet der heutigen USA lebten zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur noch 250.000 Angehörige indigener Völker, bis heute hat sich ihre Zahl auf etwa 2,5 Millionen erholt. Während des Zweiten Weltkrieges hatten die indigenen Völker Nordamerikas damit begonnen, gegen ihre Lebensbedingungen zu revoltieren. Im Jahr 1944 etwa formierten sie sich zum "National Congress of American Indians" (NCAI), bei dem es sich um die erste große inner-indianische Vereinigung seit dem Ende der so genannten "Indianerkriege" handelte. Zu ihren damaligen Gründungsanliegen zählten der Schutz indianischer Landrechte und die Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten für die amerikanischen Ureinwohner.

Der amerikanische Kongress wiederum stimmte im Jahr 1953 dafür, den US-Bundesstaaten zu gestatten, ihre eigene Rechtsprechung auch auf dem Gebiet der indianischen Reservate durchzusetzen, dies sogar ohne die Notwendigkeit der Zustimmung seitens der Bewohner der entsprechenden Gebiete. Die US-Regierung sorgte derweil für den Transfer indianischer Verantwortungsbereiche auf die Bundesstaaten und die Umsiedlung der Ureinwohner in städtische Gebiete. Die entsprechende Politik wurde intern auch als "Termination" bezeichnet.

Der NCAI stemmte sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen dieses Vorhaben. Der 1929 geborene "Earl Old Person", ein politischer Anführer und Oberhaupt der "Blackfeet", kommentierte dies damals folgendermaßen:
Es ist wichtig zu verstehen, dass es in unserer indianischen Sprache nur eine Übersetzung für "Termination" gibt, nämlich "Auslöschung" oder "ausrotten". [...] Wie können wir unsere Zukunft planen, wenn das "Büro für indianische Angelegenheiten" damit droht, uns als Rasse auszulöschen? Es ist in etwa so, als würden sie versuchen, in ihrem Tipi ein Essen zu kochen, während draußen jemand steht und versucht, das Tipi abzubrennen.

Ende der 1950er Jahre erwachte schließlich eine weitere Form des indianischen Widerstands, der sich später in Form der 1961 gegründeten, militanten indianischen Gruppierung des "National Indian Youth Council" Bahn brechen sollte. Dieser begann unter anderem in Anlehnung an die "Black Power"-Bewegung der Afro-Amerikaner, den Begriff der "Red Power" für sich zu nutzen. Die militante Formation begann damit, Demonstrationen und Märsche sowie die sogenannten "Fish-ins" zu organisieren. Auf diese Weise protestierten sie gegen staatliche Bestrebungen, die den Indianern das vertraglich verbürgte Recht absprachen, in bestimmten Gewässern zu fischen.

Schwerpunktmäßig um gegen die bereits erwähnte Geschichtsverzerrung vonseiten der US-Filmindustrie vorzugehen, wurde von Indigenen der San Francisco Bay Area 1964 die "Indian Historical Society" gegründet. Deren Anliegen war es, die Geschichte der Vereinigten Staaten aus Sicht der „First Nations“ darzustellen, aber auch das Verständnis der eigenen Identität zu stärken. Etwa zur gleichen Zeit formierten sich Angehörige des "Native American Rights Fund", um gegen Landnahme, Tagebau und etwa das versprühen von Pestiziden auf ihnen vertraglich zugesagtem Land rechtlich vorzugehen.

Beim "American Indian Movement" handelt es sich um die wohl bekannteste indianische Organisation, die im Jahr 1966 von einer Gruppe von Chippewas in Minneapolis gegründet wurde, um gegen "Polizeigewalt" zu protestieren. Im Jahr 1972 bewegte sich AIM auf dem so genannten "Trail of Broken Treaties" ("Pfad der gebrochenen Verträge") in Richtung Washington, D.C. und setzte sich an die Spitze von städtischen, traditionalistischen und jungen Indianern. In Folge der von da an stattfindenden Aktionen wurden die Niederlassungen des "Büros für indianische Angelegenheiten" jeweils eine Woche lang besetzt, um auf die nach wie vor sozial, kulturell und wirtschaftlich prekäre Situation der "First Nations" auf dem Gebiet der USA aufmerksam zu machen.

Im Jahr 1973 schließlich übernahm eine Gruppe von 200 schwer bewaffneten Indianern die Kleinstadt "Wounded Knee" in South Dakota und besetzte diese für 71 Tage. An gleicher Stelle hatte am 29. Dezember 1890 ein Massaker des 7. US-Kavallerieregiments an 300 Männern, Frauen und Kindern der Minneconjou-Lakota stattgefunden. Das Massaker brach damals den letzten Widerstandswillen der Ureinwohner.

Dem Verbrechen vorausgegangen war die sogenannte "Ghost-Dance"-Bewegung Wovokas, eines Propheten der Paiuten. Die Bewegung wurde von der US-Regierung als Bedrohung wahrgenommen, da diese sich an alle Indianerstämme richtete und eine Revitalisierung des spirituellen und kulturellen Erbes der indigenen Völker forderte. Im Zuge der von der Regierung ergriffenen Maßnahmen wurden mehrere Anführer der Indianer festgesetzt und getötet, unter ihnen das Oberhaupt der Minneconjou-Lakota, "Spotted Elk", und der wohl berühmteste "Häuptling" der Lakota, "Sitting Bull", ebenfalls im Jahr 1890.

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Der tote "Spotted Elk" nach dem Wounded-Knee-Massaker im Jahr 1890.
Die militanten Proteste der beginnenden 1970er Jahre sollten sich wiederum bezahlt machen. So gab der "Indian Education Act" den indianischen Eltern mehr Kontrolle über das an Schulen zum Einsatz kommende Bildungsmaterial ihrer Kinder. Der 1976 initiierte "Health Care Act" wiederum richtete sich gegen Defizite im Gesundheitsbereich.

In den letzten Jahrzehnten stieg die Population der "First Nations" auf dem Gebiet der heutigen USA wieder an und liegt nun auf dem fünffachen Wert gemessen an der Zahl der Ureinwohner im Jahre 1950. Die Hälfte dieser Population lebt in Reservaten, während die meisten anderen in die städtischen Ballungsräumen gezogen sind. Die größten Populationen indigener Einwohner der heutigen USA leben in Alaska, Arizona, Kalifornien, New Mexiko und Oklahoma. Trotz der nach wie vor entwürdigenden Umstände, in denen die Mehrzahl der indigenen Amerikaner auch heute noch lebt, gibt es doch auch einige Lichtblicke. So gewann etwa der indigene Autor N. Scott Momaday, ein Kiowa, im Jahr 1969 den Pulitzer-Preis im Segment Fiction.

Es gab aber auch weitere Rückschläge. So wurde im Jahre 1977 der indianische AIM-Aktivist Leonard Peltier, Angehöriger der Lakota und Anishinabe, im Rahmen der oben beschriebenen militanten Proteste aufgrund vermeintlicher Beihilfe zum Mord zu zwei Mal lebenslanger Haft verurteil. Indianische Aktivisten und Sympathisanten vermuten hinter den Anschuldigen jedoch ein Komplott der US-Bundesbehörde FBI. Auch heute, gut vierzig Jahre später, sitzt Peltier immer noch hinter Gittern.

Der eingangs erwähnte Lawrence O'Donnell äußerte im Zusammenhang mit der Geschichte der amerikanischen Ureinwohner einmal den Satz:
Diese Nation wurde auf einem Genozid aufgebaut, bevor der Begriff Genozid überhaupt erfunden wurde, bevor es ein Tribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag gab.
Der in diesen Worten zum Ausdruck kommende, unter vielen Angehörigen der indigenen Stämme verbreitete Eindruck, einer institutionell benachteiligten Bevölkerungsgruppe anzugehören, erklärt auch die Vehemenz der jüngst aufgeflammten Proteste gegen das North-Dakota-Pipelineprojekt.