Amman (Reuters) - Die syrische Armee hat nach fast einmonatiger Belagerung die Oppositionshochburg Hama mit Panzern gestürmt und dabei Dutzende Menschen getötet.

Menschenrechtler und Einwohner sprachen am Sonntag von mindestens 80 Zivilisten, die durch das Feuer aus Panzerkanonen und Maschinengewehren ums Leben gekommen seien. Ein Bewohner der 700.000-Einwohner-Stadt sagte Reuters, es lägen noch viele Leichen in den Straßen, deswegen dürften die Opferzahlen noch deutlich steigen. Beobachter sprachen von einer Eskalation, einem Machtkampf zwischen Präsident Baschar al-Assad und der Bevölkerung, die seit März gegen seine Herrschaft aufbegehrt.

Im Morgengrauen seien die Panzer nach Hama gerollt, berichteten die Augenzeugen Reuters am Telefon. "Panzer greifen aus vier Richtungen an", sagte ein Arzt, der aus Angst vor einer Festnahme seinen Namen nicht nennen wollte. Die Panzer feuerten wahllos um sich und überrollten provisorische Barrikaden, die von den Bewohnern errichtet worden seien. Scharfschützen der Armee sollen sich auf den Dächern einiger Gebäude postiert haben. Die Strom- und Wasserversorgung wurde unterbrochen - eine Taktik, die das Militär wiederholt vor der Erstürmung von Städten angewandt hat.

Der staatlichen Nachrichtenagentur Sana zufolge befanden sich Dutzende Bewaffnete auf den Dächern, um "Bürger zu terrorisieren". Bewohner wiederum sagten, Panzer und Scharfschützen feuerten auf Wohngebiete, in denen keine Bewaffneten zu sehen waren. Viele Menschen in Hama fürchten eine Neuauflage des Massakers von 1982. Damals unterdrückte Assads Vater und Amtsvorgänger Hafes mit Hilfe des Militärs einen Aufstand von Islamisten. Bis zu 30.000 Menschen wurden getötet, ganze Stadtviertel zerstört. Die Niederschlagung der Erhebung gilt als die gewalttätigste Episode in der syrischen Geschichte. Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan, einst einer der engsten Verbündeten Assads, hatte den syrischen Staatschef eindringlich zur Zurückhaltung ermahnt: "Wir wollen nicht noch ein Massaker von Hama erleben." Die syrische Regierung sieht nach eigenem Bekunden "bewaffnete terroristische Gruppen" hinter den tödlichen Zwischenfällen während der Revolte.

BND-Chef sieht keinen baldigen Regime-Wechsel

"Was wir derzeit in Syrien erleben, empört mich zutiefst", erklärte Außenminister Guido Westerwelle. Die Bundesregierung forderte von Präsident Assad ein unverzügliches Ende der Gewalt gegen friedliche Demonstranten. "Falls Präsident Assad weiter nicht zu einem Kurswechsel bereit ist, werden wir zusammen mit unseren Partnern in der EU weitere Sanktionen verhängen", erklärte der Minister. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Ernst Uhrlau, dämpfte unterdessen die Hoffnung auf einen Machtwechsel. "Ich sehe nicht, dass es zu einem Regime Change kommt", sagte Uhrlau dem Tagesspiegel (Montagausgabe). Die herrschende Minderheit der Alawiten mit dem Assad-Clan an der Spitze werde ihre Position nicht aufgeben, sagte er dem Blatt.

Ein Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton äußerte sich entsetzt über Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte. Er rief Assad zum Gewaltverzicht und zum demokratischen Wandel auf. Die US-Botschaft in Damaskus warf Assad vor, Krieg gegen das eigene Volk vor. Es sei ein Irrtum des Machthabers zu glauben, sich dadurch an der Macht halten zu können.

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