Vulkanismus
Das US-Projekt Earthscope war eines der größten seismologischen Vorhaben der Geschichte. Zwischen 2008 und 2013 wurde die gesamte kontinentale Landfläche der USA bis in große Tiefe seismologisch durchleuchtet.

Nach und nach werden jetzt die ersten Ergebnisse publiziert, die auf dem einzigartigen Datensatz beruhen. Zu ihnen gehört ein ungemein detailliertes Bild von Mantelaufwallungen unter den Neuenglandstaaten, das auf der Herbsttagung der US-amerikanischen Geophysikalischen Union AGU in San Francisco präsentiert wurde.

Die nordamerikanische Ostküste gehört zu den tektonisch ruhigsten Regionen der Erdoberfläche. „Es gibt keinerlei Subduktion hier und wir erwarten auch keine derartige Aktivität für eine geologisch ziemlich lange Zeit“, sagt William Menke, Geologieprofessor am Lamont-Doherty Earth Observatory der New Yorker Columbia Universität.

Auch die jüngsten Vulkanausbrüche sind schon sehr lange her: Der sogenannte Great Meteor Hotspot produzierte von vor 214 bis vor rund 100 Millionen Jahren zahlreiche Bergketten zwischen der kanadischen Provinz Nunavut und den Neuenglandstaaten und bewegte sich dann unter den Ozean. Schließlich verlor sich seine Spur vor rund zehn Millionen Jahren im mittleren Nordatlantik.

Doch die Ruhe, die seither herrscht, ist offenbar nur vorübergehend. „Unter Neuengland scheint sich größere Aktivität vorzubereiten“, sagt Bill Menke. Der Seismologe denkt dabei auch wieder in geologischen Zeiträumen und damit in Jahrmillionen und betont daher, dass sich es sich um geowissenschaftliche Grundlagenwissenschaft nicht um Naturgefahrenforschung handele.

Er präsentierte auf der Herbstkonferenz der Amerikanischen Geophysikalischen Union in San Francisco ein ungewöhnlich detailliertes Bild vom Ostrand des nordamerikanischen Kontinents, das tief in den Erdmantel unterhalb des Kontinentkiels reichte.

Menkes Arbeitsgruppe wertete dafür die hochaufgelösten Seismogramme des Earthscope-Projektes aus, das zwischen 2008 und 2013 den Untergrund der gesamten kontinentalen USA bis tief in den Mantel hinein durchleuchtet hat.

Auf den Seismogrammen zeichnete sich eine Reihe von Wirbeln im Erdmantel ab, die sehr heißes Gestein aus dem tieferen Mantel in dessen obere Regionen transportieren. „Unter Neuengland liegt ein solcher Wirbel, der durchaus Vulkane hervorbringen kann“, so Menke.

Erste Anzeichen eines weit in der Zukunft liegenden Vulkanismus gibt es bereits. „In einigen Seen der White Mountains hat man Helium in ungewöhnlichen Konzentrationen gemessen“, so Menke, „das ist ein Hinweis, dass sich Wegsamkeiten bilden.“

Neben den Subduktionszonen, die Inselbogenvulkane wie in Japan oder Indonesien hervorbringen, und den Hot Spots, die zum Beispiel für die Vulkane auf Hawaii, den Azoren oder Island verantwortlich sind, könnten diese Wirbel einen dritten Mechanismus darstellen, um Vulkanismus auszulösen. „Weitere Überraschungen sind sehr wahrscheinlich“, kommentiert Rune Floberghagen vom Swarm-Projekt der ESA.

Der Wirbel zwischen Maine und New York City mit dem Zentrum unter dem Süden von New Hampshire ist der deutlichste von insgesamt vier entlang der US-Ostküste. „Einer liegt unter Virginia, einer unter den Carolinas, einer unter Florida und einer unter Louisiana“, zählt der US-Seismologe auf (Der Erdkern hat einen Jetstream - und er wird immer schneller (Video)).

Der Neuengland-Wirbel wurde exemplarisch näher untersucht. Die Temperaturdifferenz zum umgebenden Gestein beträgt bei dieser Aufwallung stolze 700 Grad. „Damit ist der Mantel unter Neuengland genauso heiß wie der unter der Basin-and-Range-Provinz im Westen der USA“, erklärt William Menke, „und die ist bekannt für ihren aktiven Vulkanismus bis in die jüngste Zeit.“

Erdmantel
Blick in den Erdmantel, oben 75 km Tiefe und unten 200 km Tiefe
Der Wirbel ist der aufsteigende Ast einer Konvektionszelle, die sich direkt am Ostrand des nordamerikanischen Kontinents dreht. Das macht sie vom Prinzip her vergleichbar mit den gigantischen Konvektionszellen, die die Plattentektonik antreiben, doch sind ihre Dimensionen viel geringer. Der Neuenglandwirbel ist ungefähr 400 Kilometer breit.

Was die Aufwallungen verursacht, ist noch nicht vollkommen klar. Menke stellt sie sich als kleinere Wirbel im Erdmantel vor, die durch die Kontinentalplatten hervorgerufen werden, etwa so wie die Wirbel im Kielwasser von Schiffen. „Kontinentalplatten sind sehr große und tief reichende Objekte“, sagt Menke, „wenn sie durch die Plattentektonik umhergezogen werden, verdrängen sie Mantelmaterial und verursachen so Strömungen.“ Strömungen könnten auch die immensen Temperaturunterschiede zwischen den Kontinenten und dem aufwallenden Mantelgestein auslösen.

„Das wäre ungefähr so, wie die Winde, die nach Sonnenaufgang zwischen den sonnenerwärmten und den noch nachtkühlen Teilen der Erdoberfläche entstehen“, erklärt Menke. Auf jeden Fall dürfte die Kante der nordamerikanischen Kontinentalplatte eine Rolle in der Ausrichtung der Konvektionszelle spielen. Das Profil dieser Kante leitet gleichsam die Strömung des aufwallenden Materials (Seltsame Erdbeben: Im Indischen Ozean bricht die Erdkruste langsam entzwei).

Ob dieses im Gegenzug die Kontinentalplatte selbst erodiert wie etwa das vergleichsweise warme Ozeanwasser Eisberge abschmilzt, müssen weitere Forschungen noch klären. Menke: „Es könnte tatsächlich ein Prozess sein, der die Größe der Kontinente über geologische Zeiträume beeinflusst, bis hin zum Aufbrechen der Superkontinente, dessen Ursache wir immer noch nicht kennen.“

Bekannt ist die Temperaturanomalie unter Neuengland bereits seit rund 20 Jahren, doch mit den Earthscope-Daten konnten die Forscher um Bill Menke sie so deutlich erkennen wie noch nie. Aus den Daten ging nach Menkes Angaben hervor, dass bislang die Temperatur des Wirbels stark unterschätzt wurde und dass es sich nicht um eine von Nord nach Süd verlaufende Spur darstellt.

Geringe Temperatur und Nord-Süd-Ausrichtung war bislang immer als Indiz für einen Zusammenhang mit dem Great Meteor-Hotspot gesehen worden, die Temperaturanomalie wäre dann so etwas wie die abklingende Wärmespur des Hotspots gewesen. Stattdessen gehen die Wissenschaftler um Bill Menke davon aus, dass man das Phänomen der kontinentnahen Aufwallungen auch an anderen Landmassengrenzen finden wird, wenn man nur genau genug hinschaut.

Das US-amerikanische Earthscope hat gezeigt, wie groß der Erkenntnisgewinn aus solch detaillierten Durchleuchtungen der Erde sein kann. „Wir haben dadurch hier ein so klares Bild wie nirgends sonst auf der Welt“, meint William Menke, „aber wir gehen davon aus, dass diese Art von Untersuchungen auch anderswo auf der Welt stattfinden werden.“

Earthscope hat aber auch gezeigt, welche Kraftanstrengung nötig ist. Tausende von Seismologen kooperierten über fast zwei Jahrzehnte in der Vorbereitungs- und der Durchführungsphase, die US-Wissenschaftsstiftung NSF stellte insgesamt rund 500 Millionen Dollar zur Verfügung.

In Europa folgt man dem US-Vorbild. Das Projekt AlpArray will die Alpen mitsamt ihrem weiteren Vorland im Norden, Süden, Osten und Westen ebenso aufwendig durchleuchten wie Earthscope es mit den kontinentalen USA getan hat. Die Alpen sind zwar nicht ganz Europa, aber doch geologisch gesehen die interessanteste Region (Nach mehreren Erdbeben - Vulkane unter Rheintal und Eifel werden wieder aktiver (Video)).

Das Projekt hat inzwischen gut 600 permanente und temporäre seismische Stationen unter Vertrag, die Messungen sollen bis 2020 dauern.

Literatur: Literatur: Videos:



Quellen: PublicDomain/planeterde.de/Earthscope am 23.01.2017