Armut Deutschland Buch
© Flickr/Sascha Kohlmann
"Kein Wohlstand für alle!?" - das ist der Titel des neuen Buches von Dr. Ulrich Schneider. Der Erziehungswissenschaftler und Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes analysiert darin die Verteilung von Wohlstand und die soziale Spaltung in Deutschland.

„Wohlstand für alle“ lautet seit Ludwig Erhard das zentrale Versprechen aller Regierungen. Tatsächlich jedoch werden seit Jahrzehnten Reiche immer reicher, während immer größere Teile der Mittelschicht abgehängt. Das ist weder Zufall noch Schicksal, sondern das Ergebnis einer Politik, die sich immer stärker einem modernen Neoliberalismus verpflichtet sieht, so der Autor des Buches "Kein Wohlstand für alle!?", Dr. Ulrich Schneider, der eine prekäre Lage in Deutschland zeichnet:

"Wenn wir über Vermögen nachdenken, haben wir ja mittlerweile die Situation, dass die unteren 40 Prozent bereits nichts oder Schulden haben. Wir haben 40 Prozent in der Bevölkerung, die von der Hand in den Mund leben. Mittlerweile erleben wir jeden zweiten Arbeitsvertrag, der abgeschlossen wird als befristeten Arbeitsvertrag. Den Menschen wird von morgens bis abends seitens der Politik oberlehrerhaft erklärt, dass sie ihre Rente vergessen könnten. Wir leben in einer Zeit, wo fast die Hälfte der Bevölkerung nachvollziehbarer Weise tief verunsichert ist. Weil sie nicht an diesem Wohlstand teil hat."

Bei der Buchpräsentation im Buchhändlerkeller Berlin war zusätzlich zum auch Professor Christoph Butterwegge zugegen. Der Politikwissenschaftler an der Uni Köln gilt als Experte für das Thema Armut. Er wurde von der Linkspartei als Kandidat für das Bundespräsidentenamt nominiert. Er gibt ein konkretes Beispiel für die Spaltung unserer Gesellschaft:

"Auf der einen Seite sind die beiden ehemals reichsten Männer der Bundesrepublik, Karl und Theo Albrecht, Gründer der ALDI-Ketten Nord und Süd, mit 89 beziehungsweise 92 Jahren verstorben. Privatvermögen über 30 Milliarden Euro. Also zwei alte, unvorstellbar reiche Männer. Auf der anderen Seite gibt es wieder vermehrt alte Frauen, die mit ihrer Rente nicht über die Runden kommen und Minijobs haben. 175.000 Menschen haben im Alter von 75 oder älter noch einen Minijob und sie putzen öffentliche Toiletten oder sie tragen frühmorgens Zeitungen aus. Wenn man ohne ideologische Scheuklappen durchs Land geht, kann man auch feststellen, dass einige von ihnen aus Müllcontainern womöglich noch Flaschen oder im Extremfall sogar Nahrungsreste rausholen."

Auch der Aufstieg von Parteien wie der AfD seien das Resultat einer verfälschten Politik, die es nicht zustande bringt, für ihre Bürger zu sorgen und das sozialdemokratische Aufstiegsversprechen einzuhalten, wie der Kölner Politikwissenschaftler erläutert:

"Heute sind wir im Grunde in der Situation, dass dieses Aufstiegsversprechen von Abstiegsangst abgelöst worden ist. Diese Abstiegsangst, insbesondere in der unteren Mittelschicht, die veranlasst dann viele Menschen dazu, sich rechtspopulistischen Demagogen zuzuwenden, zu glauben, dass die AfD wirklich eine Alternative sei. In Wirklichkeit will die AfD aber die Steuern abschaffen, die eben Reiche bezahlen - die Vermögenssteuer und die Erbschaftssteuer."


Auch mit dem Gerücht, dass die demografische Entwicklung schuld am sinkenden Wohlstand oder sinkenden Rentenbezügen sei, räumt Christoph Butterwegge einleuchtend auf:

"Es ist natürlich nicht so, dass wenn, was ja richtig ist, tendenziell die Lebenserwartung steigt und auf der anderen Seite auch die Familien kleiner werden, weil ein Geburtenrückgang zu verzeichnen ist, dann folgt daraus keineswegs, dass entweder die Renten gekürzt werden müssen, oder die Beiträge ins Unermessliche steigen müssen, weil die Arbeitsproduktivität zunimmt. Wenn der Reichtum dieser Gesellschaft zunimmt, dann muss er nur gerechter verteilt werden. Es ist nicht so eine Art Sachzwang, wie die Neoliberalen sagen, denn das Bruttoinlandsprodukt nimmt ja weiter zu, obwohl die Bevölkerung weiter abnimmt. Wer schon einmal einen Kuchen für einen Kindergeburtstag gebacken hat, der weiß, wenn weniger Kinder kommen, der Kuchen aber größer wird — bleibt mehr für alle.

In Horrorszenarien ist da vom Geburtenschwund und von der vergreisenden Gesellschaft die Rede, und auf der anderen Seite, wenn das Bruttoinlandsprodukt, also der Reichtum der Gesellschaft, weiter wächst, müsste eigentlich ein größeres Stück vom Kuchen für alle da sein, vorausgesetzt es würde einigermaßen gerecht verteilt. Da liegt der Hase im Pfeffer."

In seinem Buch fordert Dr. Ulrich Schneider eine Revolution in den Köpfen. Auch die Bürger sind hier in der Verantwortung. Professor Butterwegge steht für ein Rot-Rot-Grünes Bündnis. Das alleine würde aber, so der Professor für Politikwissenschaft am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften, keine grundlegende Gesellschaftsveränderungen bewirken. Außer es wäre außerparlamentarischer Druck da. Er erläutert:

"Zum Beispiel das, was ich da vertrete, eine solidarische Bürgerversicherung, braucht eine breite Bürgerbewegung. Nur wenn es da Druck von der Straße gibt, dann wird auch eine Regierung, die jetzt sicher weiter links als die jetzige stehen würde, auch wirklich Veränderung bewirken können. Das ist nicht im Selbstlauf möglich, sondern da muss sich ein großer Teil der Bevölkerung einmischen und eben nicht resigniert zurückziehen. Ich erlebe immer wieder, wenn ich jetzt unabhängig von der Kandidatur zum Bundespräsidenten referiere, dass viele Menschen, die eigentlich für eine sozial gerechtere Gesellschaft eintreten, doch sehr entmutigt sind. Sie haben das Gefühl, man kann nichts bewegen, man kann nichts bewirken und dass ist wirklich falsch. Das gibt so eine self-fulfilling prophecy. Wenn viele Menschen glauben, dass man das nicht verändern könne, dann können sie es auch nicht verändern. Ich halte es da mit Antonio Gramsci, der hat das so schon ausgedrückt: Ein Pessimismus des Verstandes — den habe ich auch, was die Analyse angeht, sehe ich genauso dunkel, wie Ulrich Schneider das in dem Buch beschreibt, was die soziale Ungleichheit in Deutschland angeht —, aber ein Optimismus des Herzens, als immer noch den Glauben, wir können das anpacken, wir können das verändern und zum besseren Wenden."