Die Menschen leben in Angst und Schrecken und trauen sich offenbar zum Teil nicht mal mehr aus ihren Häusern.

Addis Abeba/Maiduguri - Lange Schlangen haben sich an den Bushaltestellen von Maiduguri gebildet, während andere Einwohner ihr Vieh aus der Stadt treiben und sich mit ihrem gesamten Hab und Gut auf den Weg machen.

Die Angst geht um in der Stadt im Nordosten Nigerias, Angst vor einer radikal-islamischen Sekte mit dem Namen „Boko Haram“. Sie versucht mit extremer Gewalt, die Einführung der Scharia - also des religiösen islamischen Rechts - und ein Verbot jeglicher westlicher Bildung in dem westafrikanischen Land durchzusetzen.

Der britische Sender BBC sprach von einem „Exodus“. Diejenigen, die bleiben, trauen sich starr vor Furcht kaum noch aus ihren Häusern.

Eines der Probleme ist, dass die Mitglieder als normale Bürger in der Stadt leben und keiner so genau weiß, ob sein Nachbar eventuell auch ein Militanter ist. „Du weißt nie, wer sie sind, sie könnten immer mitten unter uns sein“, sagte ein Einwohner. Sicher ist nur, dass Maiduguri Hauptsitz und Hochburg von Boko Haram ist, und dass die Armee derzeit mit allen Mitteln versucht, die Gruppe ein für alle mal zu zerstören.

Allein in den vergangenen Wochen sollen Sektenmitglieder mehr als 40 Menschen getötet haben. Meist sind sie auf Motorrädern unterwegs und erschießen ihre Opfer, oder werfen Sprengstoff in Bierlokale, die größtenteils von Soldaten und Polizisten besucht werden.

Boko Haram, das heißt in der lokalen Hausa-Sprache soviel wie „Westliche Bildung ist ein Sakrileg“. Alles, was im entferntesten mit dem Westen zu tun hat, wird strikt abgelehnt, darunter besonders das Trinken von Alkohol, aber auch demokratisches Wahlrecht oder das Tragen von Hemden und Hosen. Heute nennt sich die Gruppe auch „Organisation der Anhänger der Lehren des Propheten Mohammed und des Jihad“.

Die Behörden reagierten auf die Angriffe mit drastischen Maßnahmen, so etwa einer abendlichen Ausgangssperre, dem Verbot von Motorrädern auf den Straßen und zuletzt der Schließung der örtlichen Universität. Letztere erfolgte, nachdem es hartnäckige Gerüchte über einen bevorstehenden Angriff auf den Campus gegeben hatte. Dabei hätten in dieser Woche wichtige Prüfungen angestanden. „Du kannst weder lesen noch sonst irgendwas tun in so einer Situation“, erklärte ein Hochschüler.

So mancher Bürger hat allerdings mittlerweile mehr Angst vor den Soldaten als vor der Sekte: Nach jedem Boko-Haram-Anschlag werden die Vergeltungsschläge des Militärs brutaler. Bürger berichten, die Soldaten hätten zuletzt wahllos auch auf Zivilisten geschossen: „Sie sind gekommen, haben „Hände hoch!“ gerufen und angefangen zu schießen“, sagte ein Augenzeuge. „Sie denken, dass Menschen wie wir - Zivilisten - Mitglieder von Boko Haram verstecken.“ Ein Militärchef bestritt die Vorwürfe.

Aber auch die Sekte ist in Bezug auf die Wahl ihrer Opfer nicht zimperlich: „Wir möchten keine Zivilisten verletzen, aber wir schließen nicht aus, in Zukunft auch Selbstmordattentate zu verüben“, zitierte die BBC einen Boko-Haram-Kämpfer. „Und wer der Polizei hilft, ist für uns selbst ein Polizist, also werden wir ihn massakrieren.“

Die „nigerianischen Taliban“, wie sich die Islamisten auch nennen, machten erstmals 2004 mit einem Trainingslager „Afghanistan“ an der Grenze zum Nachbarland Niger auf sich aufmerksam. Gegründet wurde die Sekte wahrscheinlich bereits 2002 - drei Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur in Nigeria - von dem charismatischen Prediger Mohammed Yusuf.

Zu größeren Zusammenstößen und Unruhen kam es 2009, als ein Demonstrationsverbot gegen die Gruppe verhängt wurde. Allein in Maiduguri starben dabei mehrere Hunderte Menschen. Nigerianische Sicherheitskräfte hatten daraufhin den Hauptsitz von Boko Haram gestürmt und zerstört und Yusuf festgenommen. Kurze Zeit darauf wurde er tot aufgefunden. Mittlerweile hat sich die Gruppe neu formiert und Rache geschworen.

dpa